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Frankreich, die Schweiz, selbst Rußland und Italien ihre Apostel, Geistlichen und zahlreiche Anhänger haben. Der Apostel von London ist ein Advokat, und viele der höchsten Geistlichen sind Handwerker und Gewerbsleute; aber es giebt eine Anzahl Geistlicher aller Grade der Kirche von England dabei, welche ganz in Geheim für die Verbreitung der irvinitischen Lehre arbeiten. An dem einen Sonntag-Nachmittag predigte ein deutscher Missionar, an einem andern ein Franzose, bald ein Italiener, bald ein Schweizer u s. w., so daß ganz Europa von diesem Raupengespinnst überzogen ist, dessen letzter und höchster Zweck Gelderpressung ist. Schottland und Irland haben jedes ihren eigenen Apostel, und häufig geschah es, wenn ich in eine nicht irvinitische Kirche ging, daß ein Geistlicher, den ich in den irvinitischen Versammlungen gesehen, hier die Lehre jener Sekte in verblümten Worten vortrug, während seine Gemeinde einen Priester der Landesreligion zu besitzen glaubte. So wird selbst das Heiligste unter einem entarteten Geschlechte zum Gaukelspiel!

Ich verschaffte mir natürlich alle mögliche Aufklärung über den Ursprung und die Geschichte der Irviniten, aber sie sind in fast undurchdringliches Dunkel gehüllt, bilden durch ihren gemeinsamen Zweck eine Kette, die man nicht zergliedern kann, ohne selbst ein Glied zu werden, und nur durch dieses letztere Mittel bin ich befähigt worden, diese Aufschlüsse zu geben. Das kann ich aber nur, nachdem ich den Continent wieder unter meinen Füßen habe, in England wäre meine völlige Vernichtung, wahrscheinlich mein Tod die Folge davon gewesen. Die Quarterly-and Edinburgh-Review sagte ungefähr Folgendes: „Irving war ein Priester der Kirche von England, da er jedoch Neuerungen und Paradoxe lehrte, das Volk mit Aberglauben und Irrlehren verführte, wurde er aus der Kirche gestoßen, worauf er einige Zeit seine Versammlungen im Freien hielt, bis seine Anhänger mächtig genug waren, eine Kirche zu gründen. Er erlebte jedoch die jetzige Organisation derselben nicht, sondern endete sein Leben im kräftigsten Mannesalter in einem Irrenhause.“

Vermittelst der Ohrenbeichte und durch ihren ununterbrochenen Umgang mit ihren Beichtkindern erlangen die Geistlichen eine genaue Kenntniß der wichtigsten wie der unbedeutendsten Angelegenheiten, nicht minder auch eine unumschränkte Herrschaft über die Gewissen ihrer Anhänger, und ich habe vornehme Damen gekannt, die das Loos des