Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/24

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

floß“ vortrug, welche mächtig an die Saiten meiner Seele schlug und meiner Stimme jenen tiefen Wiederhall gab, der das Herz des Hörers innig ergreift.

„Charmant, charmant!“ rief beim Schlusse eine männliche Stimme hinter mir, und mich umsehend, erblickte ich den Regisseur, der mir die verbindlichsten Sachen über meine Stimme und Methode sagte. Auf die Frage seiner Tante entgegnete er, daß er sich getraue, in mir die künftige Primadonna[WS 1] zu weissagen, einstweilen erbot er sich, mir aber ein Engagement für zweite und dritte Parthieen zu verschaffen. Nachdem ich sogleich an meinen Vater geschrieben, gingen wir in die Oper, wo Madame Malibran den Fidelio mit einer Stimme und Meisterschaft sang, die Alles entzückte und mich in die höchste Extase versetzte. Schon zitterte ich bei dem Gedanken an das Verbot meines Vaters. Nach der Oper begleitete mich Madame D. nebst einigen Bekannten nach Hause und lud mich auf den nächsten Tag wieder zum Besuche ein. Welcher Unterschied zwischen gestern und heute! und wie schnell sollte doch schon wieder ein anderes Morgen kommen!

Als Karl am nächsten Mittag zu mir kam, war er glücklich über die Wendung meines Schicksals, hatte aber ein sehr krankes Ansehen, hustete viel und versprach, seine Reise bald anzutreten. Madame D. und ihren Vetter kannte er als brave Leute, auch er schloß sich dem Wunsche an, daß mir mein Vater nicht hinderlich sein möge. Indem wir noch sprachen, klopfte es an die Thür, und als ich öffnete, erblickte ich eine Dame, die mir oftmals im Parke begegnet war. Sie sagte nach freundlichem Gruße, sie habe sich bei Major B… Bonne nach mir erkundigt und mit tiefem Bedauern mein Schicksal erfahren, sie sei gekommen, mir die Stelle einer Gesellschafterin der Tochter des reichen Generals und Barons de … anzubieten, der jetzt in seinem Palaste zu Brüssel anwesend sei, gewöhnlich aber sein schönes Schloß bei Huis bewohne. Der Herr sei sehr großmüthig und diese Stellung in seinem Dienste für ein Glück zu erachten. Diese Dame hatte gar kein aristokratisches Ansehen, obwohl sie den General ihren alten Bekannten nannte, und da ich hier unendlich viel von den Fallstricken gehört hatte, die man der Jugend lege, so war ein erwachendes Mißtrauen um so natürlicher, als sich die Dame weigerte, mir die Adresse des Generals zu geben. Sie schien empfindlich, sagte, sie habe mir ein Glück bereiten wollen, wünsche aber nicht, daß von dieser glänzenden Stelle gesprochen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Primadonna wurde Marie’s Nichte Elisabeth Kohut-Mannstein, geb. Steinmann.