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„Allerdings sind Bälle starke Reizmittel für die Sinne, erwiederte ich, allein ich traue einer hierdurch erweckten Neigung nicht die Solidität zu, welche zum ehelichen Glück erforderlich ist.“

„Wo und bei welcher Gelegenheit soll man sich denn verlieben, um glücklich zu werden? etwa in der Kirche?“ spottete Rosa.

„Gewiß wird es weit weniger gefährlich sein, einer Neigung zu folgen, welche bei dem ruhigen Zustande der Andacht entsteht, als einer solchen, die auf dem Balle auflodert, weil der Ball nicht der Gesichtspunkt ist, unter welchem man auf den Freund für’s Leben, auf den Gatten schließen darf. Eine solche Wahl wird nicht im Stande sein, die Probe trüber Schicksale auszuhalten.“

„Puh, Sie reden ja wie ein Methodisten-Prediger, erwiederte Rosa etwas ungeduldig; sind Sie nie auf einem Balle gewesen?“

„Im Gegentheil, sagte ich, und ich weiß sehr wohl, wie einem das Herz klopft, wenn ein interessanter Mann einem so recht sinnig und tief in’s Auge blickt, wie man zittert bei seinem Händedrucke und wie alles umher zu schwinden scheint, wenn er einem im üppigen Walzer oder in der graziösen Mazurka an das Herz drückt, wie man dann die Nächte nicht schlafen kann und Monate und Jahre von einem unerreichbaren Glücke träumt! Das nenne ich ein so flüchtiges Vergnügen allzu theuer bezahlen.“

„Wenn sich ein Mann so gegen Sie benahm, warf Rosa ein, ohne eine ernste Absicht dadurch an den Tag zu legen, so war er entweder ein sehr leichtsinniger Geck, oder er wurde durch die Macht der Verhältnisse gehindert, Ihnen das Glück zu schenken, welches er Sie ahnen ließ; und in beiden Fällen sind Sie zu bedauern.“

„Wir wollen nicht untersuchen, gutes Kind, wie viel Millionen Male dies in einer einzigen Winter-Season nur geschehen mag, denn unsere modernen Bälle sind durch die enge Berührung beider Geschlechter, die sie bedingen, durch die Wallung des Blutes, die sie durch ihre rasche Bewegung im Tanze und brillante Musik, ihren Kerzenschimmer und ihre raffinirten Tafelfreuden erzeugen, ganz geeignet, Sinnenrausch hervorzurufen. Sogar der glatt polirte Fußboden des Saales ist durch die papierdünne Sohle hindurch ein Nervenkitzel, den der echte Tänzer gar nicht entbehren mag. Je glatter das Podium, je feiner der Schuh, desto reizender der Tanz. Ich will den Menschen sehen, der in diesem Lusttaumel zum Philosophiren aufgelegt sein sollte.