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der Apostel, die sich ja mit dem Inhalt der Offenbarung vertraut zeigen, vergl. 1. Korinther 15, 52 (letzte Posaune) enthalten darüber nur wenig Andeutungen, als z. B. 1. Korinther 4, 8. Im Allgemeinen scheint die apostolische Verkündigung weniger bei diesem Zwischenzustand sich aufgehalten, sondern den letzten Teil des zweiten und dritten Glaubensartikels behandelt zu haben: das jüngste Gericht, die Auferstehung und das ewige Leben. Mehr möchte ein aufmerksamer Leser in den Evangelien finden.

 Die Deutung der alttestamentlichen Weissagungen vom Friedensreich ist übrigens mit einer großen Schwierigkeit behaftet. Was nach dem Wortlaut der Propheten im Friedensreich eintritt, das sehen die Apostel bereits durch die erste Zukunft des Herrn erfüllt, z. B. die Weissagung von dem neuen Bund, den der Herr mit seinem Volk machen will; nach Jeremia 31, 33 und 34 will der Herr diesen Bund im Friedensreich aufrichten, der Hebräerbrief aber sieht Kap. 8, 6–13 diese Weissagung bereits mit der ersten Zukunft des Herrn erfüllt. Man kann dazu etwa sagen, es ist in der Tat so, aber Israel war zur Zeit des Herrn verblendet, und erst wenn ihm im Friedensreich die Augen aufgegangen sind, wird, was diese Weissagung verheißt, ihm ein wirklicher Besitz. Aehnliche Stellen gibt es noch mehr, auf welche wir aber hier nicht weiter eingehen.

 Vorstehendes ist ein Versuch, ein deutlicheres Bild von dem sogenannten „tausendjährigen Reich“ zu gewinnen.

 Die früheren lutherischen Lehrer haben sich das Verständnis der angeführten Weissagungen sehr erschwert, ja zum Teil unmöglich gemacht dadurch, daß sie bei gewissen Schwierigkeiten, die sie nicht überwinden konnten, die sogenannte „geistliche Auslegung“ zu Hilfe nahmen. Als Musterbeispiel diene Amos Kap. 9, 13: dem zurückgekehrten Volk wird der Herr die Berge von Wein triefen lassen, und Jesaja 11: im Friedensreich werden Wolf und Lamm zusammen auf die Weide gehen. Da behaupteten die Juden, der Messias könne nicht in Jesu erschienen sein, denn es seien diese Weissagungen noch unerfüllt. Das letztere hätten die christlichen Lehrer ruhig zugeben können und darauf hinweisen, daß ja doch die Leidensweissagungen erfüllt seien, und es könnte doch Leidensweissagung und Herrlichkeitsweissagung nicht zu gleicher Zeit sich erfüllen, sondern nur nacheinander. Statt dessen halfen sie sich mit der geistlichen Auslegung: das Triefen der Berge von Wein erfülle sich in der reichlichen Verkündigung des Evangeliums und das friedliche Beieinandersein von Wolf und Lamm erfülle sich in dem friedlichen Verkehr der christianisierten Völker. Diese Deutung läßt sich ja ganz wohl hören, aber nach lutherischen Grundsätzen steht die buchstäbliche Auslegung an erster Stelle. Das verkannten jene Theologen, und das entging ihnen, daß sie mit ihrer Behandlung jener Weissagung den Juden das Recht gaben, ihrerseits die Leidensweissagungen geistlich auszulegen.