hab, heute noch vorzukommen. Ich hab es versprochen, siehst du, und wenn ich mal mein Wort gegeben habe –“
Das Paar war um eine Straßenecke verschwunden, ich hörte seine brutale Stimme in der Ferne: „Na, hast du noch was zu bemerken?“ dann war es still. Vor mir aber auf dem hellen reinen Trottoir lag etwas Weißes. Ich hob es auf, es war ein Kuvert mit einer Photographie, unzweifelhaft dieselbe, von der eben gesprochen worden. Im Lichte einer Straßenlaterne besah ich das Bild, das Brustbild eines ziemlich hübschen, sanften Geschöpfes mit etwas vorstehenden Augen und lockenbeschatteter niederer Stirn. Auf der Rückseite stand geschrieben: „Für meinen lieben Emil.“
Kopfschüttelnd steckte ich das Bild zu mir. Ich fühlte keinen Drang, dem Eigentümer nachzulaufen, um es ihm wieder zuzustellen. Er verdiente es wahrlich nicht.
Der Mond war jetzt ganz aus dem Gewölk hervorgetreten; es war wohl nicht kälter geworden, aber mich fröstelte, die Schönheit des Abends schien mir besudelt, und ich gedachte mit Inbrunst und Sehnsucht all der guten und zärtlichen Bande, die mich mit Menschen verknüpfen, bis ich vor meiner Haustür stand. – –
Es war sechs Wochen später, ein feuchtwarmer
Ilse Frapan-Akunian: Zwischen Elbe und Alster. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin, Leipzig 1908, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwischen_Elbe_und_Alster_Frapan_Ilse.djvu/100&oldid=- (Version vom 31.7.2018)