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Einfälle einzuschreiben pflegte, lag geöfnet vor ihr. Sie hielt eine Feder in der Hand – aber ihr Arm lag quer über dem Buch und ihr Gesicht lag auf ihrem Arm. Ihr Gehirn brannte, aber die helle Flamme der Gedanken loderte nicht aus der Glut auf. Sie raffte sich zusammen, sie blätterte in dem Buch um in eine andre Stimmung zu kommen. Da fiel ihr Blick auf die Worte: „Mir kommt meine Seele wie in den Styx getaucht vor.“ Ja, sagte sie, dies wahnsinnig vermessene, das Schicksal herausfodernde Wort, schrieb ich am Tage vor Tristans Erkrankung; sieben Tage darauf kam Leonor; seitdem sind fünf Monat verflossen – und jezt muß ich schreiben – – sie ergriff die Feder und schrieb: „Meine Seele ist wund als könne sie sich noch heute verbluten. So ist der Mensch. Es rühme und freue sich doch Niemand seiner Kraft bevor die Versuchung, seine Versuchung zu ihm getreten und von ihm gewichen ist.“

Da vernahm sie Leonors Stimme; sie eilte ihm entgegen, zog ihn mit heftiger Bewegung ins Zimmer, legte beide Hände auf seine Brust, sah ihn an mit einem Blick der ihn wie in Liebe einwickelte, und sprach:

„Leonor! .… leb wol.“

„Nein! sagte er entschieden, ich gehe nicht.“

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Ida von Hahn-Hahn: Zwei Frauen. Zweiter Band. Berlin 1845, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Frauen_(Hahn-Hahn)_v_2.djvu/197&oldid=- (Version vom 31.7.2018)