sie diesen Vorwurf ebensowenig als die Auffoderung zur Rückkehr zu Christus. Sie sei sich so gar nicht eines Abfalls bewußt, daß sie eher meine in seiner Nachfolge – ihren geringen Kräften gemäß – begriffen zu sein. „Denn, schrieb sie, mir genügt nicht zu wissen daß Christus sein göttliches Leben am Kreuz verblutet – daß Moses sein göttliches Leben in der Wüste verhaucht hat: ich will in mir einen kleinen matten Abglanz dieser stralenden Leben aufbewahren, damit ich, wenn ich vierzig Jahr durch die Wüste wandeln oder wenn ich den Kreuzesweg gehen muß, zu diesen Gottgesandten aufblicken und mir Ergebung, Trost, Versöhnung und Friede bei ihnen holen dürfe. Denn, liebe Aurora, ich muß
es Dir wiederholen, ich bedarf der innern, der selbstgebornen Befriedigung, und äußere Thatsachen berühren mich nur insofern als sie wirkend eingreifen in das Getriebe meines Lebens, so daß ich sie als Anker der Ruhe oder als Pharus des Lichtes in mir gleichsam auferbauen kann.“
Natürlich machte dieser Brief keinen beschwichtigenden, sondern einen aufregenden Eindruck bei der Empfängerin. Sie erhielt ihn in Gegenwart ihres Mannes und des Pfarrers, las ihn, und theilte dann den Inhalt unter heftiger Gemüthsbewegung Beiden mit. Elsleben sagte ganz nachdenklich:
Ida von Hahn-Hahn: Zwei Frauen. Zweiter Band. Berlin 1845, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Frauen_(Hahn-Hahn)_v_2.djvu/115&oldid=- (Version vom 31.7.2018)