Uebermuth oder Leidenschaft zerbreche ich meine Pflichten; nicht für Genüsse seiner oder grober Art nehme ich meine Freiheit in Anspruch. Daß ich Alles verschmähen würde was wie Vergeltung oder Rache aussieht, versteht sich bei meiner Denkungsart von selbst. Ich will nur meine Menschenwürde retten, und wiederum nicht vor dem Auge und nach dem Urtheil der Welt, sondern vor meinem Gewissen und unter dem Auge Gottes.“
Dieser Brief verletzte Aurora grenzenlos, weil sie grade die Befriedigung wie einen Blumenkorb voll Rosen draußen auf dem Markt kaufen wollte; weil grade sie nach einem künstlichen Wirkungskreise bange herumtappte. Sie war gekränkt weil sie auf ihrer schwachen Seite sich getroffen fühlte, und nicht aufrichtig genug sein wollte um diese Schwäche sich selbst einzugestehen. Dazu kam daß ihr armes, unruhiges, bewegliches Herz einen neuen Anlauf genommen hatte um in irgend einer Exaltation Ersatz für die mangelnde Liebeskraft zu suchen. Diesmal war es religiöse Schwärmerei der sie sich in die Arme warf. Nichts sollte gelten als die Liebe zum Heiland. Bei ihrem Pfarrer fand sie Anklang und Ermunterung. Er mogte glauben daß ihr Herz nur zur Ruhe kommen könne, wenn es sich am Fuß
des Kreuzes zermalme. Sie zeigte ihm trostlos
Ida von Hahn-Hahn: Zwei Frauen. Zweiter Band. Berlin 1845, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Frauen_(Hahn-Hahn)_v_2.djvu/113&oldid=- (Version vom 31.7.2018)