Kreis gebannt, welcher der Kerker meines Geistes wird. Der Mensch hat andre Bedürfnisse als ein Kleid und ein Stück Brot! andre Ansprüche als das Dasein zu fristen! er will nicht vegetiren, sondern leben: mit Geist und Herz, durch Forschung und Genuß, in ansprechender Thätigkeit und willkommner Ruhe. Er will nicht negativ auf sich wirken lassen, sondern positiv wirken; nicht durch äußere Abhängigkeit, sondern durch inneres Bewußtsein sich bestimmen. Er will auch sein Wort des Verständnisses in die Welt hinein rufen, zur Ermunterung für Gleichgesinnte. Er will auch Kräfte übrig behalten zur gemeinsamen Arbeit der Zeit, deren Resultate einer besseren Zukunft aufbewahrt sind und glücklicheren Geschlechtern zu gut kommen. Für diese Bestrebungen, die edelsten welche dem Menschen inwohnen, braucht er Unabhängigkeit, weil sie ihm Spielraum zu seiner Selbstentwickelung verschafft – – und die ist in unsern Tagen nur durch Vermögen zu erlangen. Besitze ich das, so wird es mir leicht was ich an Talent und Fähigkeit besitze zu entfalten, während sie in beständigen miserablen Sorgen untergehen, ersticken müssen. Du selbst, Dorel, mußt heraus aus dieser beklemmenden Atmosphäre der Dienstbarkeit. Wähle Dir den Aufenthalt wo Du willst – ich sichre Dir eine sorgenfreie Existenz.“
Ida von Hahn-Hahn: Zwei Frauen. Zweiter Band. Berlin 1845, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Frauen_(Hahn-Hahn)_v_2.djvu/075&oldid=- (Version vom 31.7.2018)