Muse; in dem zweiten Laura und Grazie; und in beiden nannte er sich selbst Dante und Petrarca, nicht gradezu aber verblümt. Aurora konnt' es nicht ändern, sie fand sich sehr geschmeichelt: es waren die ersten Gedichte, die ein Mensch an sie gerichtet hatte. Sie wollte sie mit einiger Rührung ihrem Mann vorlesen, allein der unterbrach sie in der Mitte des ersten.
„Miezchen, für solch Lullabey sind meine Ohren zu prosaisch! Ich weiß nicht ob es aufs Einschläfern berechnet ist; aber mich macht es schläfrig .… wie alle Verse! Du kennst ja meine schwache Seite. Müßte ich in der Kirche die Lieder vorlesen hören statt sie zu singen - bei Gott! ich würde sanft und selig entschlummern, nur das Singen erhält mich wach. Und das sind doch Verse dem lieben Gott zu Ehren! .… also nimms nicht übel, daß andre Dir zu Ehren mir denselben Eindruck machen.“
Aurora faltete schweigend die beiden zierlichen buntbemalten Blätter zusammen und verwahrte sie sorgsam in ihrem Schreibtisch. So entwickelte sich in ihr ein kleines Interesse für den Hauptmann, welches dadurch daß die ganze Nachbarschaft, inbegriffen ihren Mann und ihren Pfarrer, ihn langweilig und unerträglich fand, sich noch steigerte; denn sie war nun einmal in einer kleinen Opposition mit
Ida von Hahn-Hahn: Zwei Frauen. Erster Band. Berlin 1845, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Frauen_(Hahn-Hahn).djvu/135&oldid=- (Version vom 31.7.2018)