meinem eigenthümlichen Streben in irgend einer Richtung genug gethan zu haben? Soll ich in dieser unvollkommnen Existenz, welche nicht die Hälfte meiner Kräfte verbraucht, ausharren bis zum Ende, immer die Form suchen, in welche ich sie ausprägen mögte, sie scheinbar unter der Hand und in den Nächsten finden, und dennoch nicht zur Ausübung kommen, weil mir überall die Schranke eines Willens oder eines Characters entgegentritt, für den die Unterwerfung mir geboten ist, und über den ich nichts vermag, weil er gut, redlich und brav, aber völlig ohne ernste Auffassung des Lebens und unsrer Bestimmung ist! -
Das Traurige bei dieser heimlichen und immer wiederkehrenden Klage war, daß sie nicht ganz Unrecht hatte. So lange der Mensch eine Leere in sich wahrnimmt, die er glaubt durch seine Fähigkeiten ausfüllen zu können, welchen aber durch Verhältnisse und Umgebung versagt ist sich geltend zu machen:-so lange ist er elend, weil ihn, den dereinstigen Erben der Vollkommenheit, nichts so bedrückt als die Unvollkommenheit. Eine Unruh ergreift ihn, ein Mißbehagen, eine große Traurigkeit. Er zerarbeitet sich innerlich und kommt nicht vorwärts; er fühlt sich matt und müde, und kommt nicht zum Ausruhen. Immer meint er etwas versäumt
Ida von Hahn-Hahn: Zwei Frauen. Erster Band. Berlin 1845, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Frauen_(Hahn-Hahn).djvu/123&oldid=- (Version vom 31.7.2018)