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denen der Tag noch gehörte. Großmama bemerkte es, wie ein Erinnern an sehr, sehr Fernes – es war ja immer so gewesen – mochten auch noch so viel Leben entschwinden, das Leben blieb, und neben allem Wandel gab es doch auch, was sich zu allen Zeiten gleichgeblieben.

Zum Charlottenburger Schloßgarten fuhr Großmama mit den Enkeln. Der alten Gewohnheit, in jede Stadt, wo sie zusammen weilten, ihnen Werke der Vergangenheit zu zeigen, wollte sie auch heute folgen. Früher war das der Ausdruck eines ihr angeborenen Hanges zum Historischen gewesen, heute aber lag darin die ihr eigene Selbstbeherrschung, sich nie ganz vom Augenblick überwältigen zu lassen, so groß er auch sein mochte.

In feierlicher Abgeschiedenheit lag das Schloß hinter dem Gitter, mit den Ringern auf den Pfosten der weiten Einfahrt; blaßgrün hob sich die kupfergedeckte Turmkuppel gegen den Himmel ab, und gleich einer goldenen Flamme glänzte über ihr die Gestalt des sonnenbestrahlten Genius. Bald ließ Großmama halten und schritt mit den Enkeln durch den Garten, wo des Flieders blaßlila Dolden sich zu öffnen begannen. Ihr leiser Duft hatte etwas Wehmütiges; es war, als entsteige er nicht so sehr den Blüten dieses Jahres, sondern er schien von längst vergangenen Frühlingstagen her noch hier in der Luft zu schweben und war wie eine Begleitung zu Großmamas Worten. Denn von ganz fernen, alten Zeiten erzählte sie den lauschenden Enkeln, von Tagen, die sie selbst nicht mehr erlebt

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Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/63&oldid=- (Version vom 31.7.2018)