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daß alle die Engel so gemalt waren, daß sie genau auf Großmama blickten. Das dünkte die drei Kinder besonders bei der Geburtstagsfeier sehr passend: offenbar gratulierten die Engel Großmama auf diese Weise. Manche der Engel hielten lange, goldene Trompeten an ihren roten Lippen, aber was sie so mit dicken, aufgepusteten Backen bliesen, hörte man nicht. Dafür hörte man den Kantor auf der Orgel spielen.

Die Orgel stand auf der einen Seite der Altarempore. Sie war in ein weißgoldenes Gehäuse eingebaut. Das Schnitzwerk seines Gesimses stellte kleine, pausbäckige Engelchen dar, die zwischen allerhand Schnörkeln, wie in einem Irrgarten gefangen saßen. Die Kinder hatten diese Engelchen immer mit besonderer Neugier betrachtet. Was für ein Spiel mochten sie wohl dort oben spielen? Verstecken oder Blindekuh? Unterhalb dieses Gesimses glänzten die Orgelpfeifen blitzblank, wie das Tafelsilber, wenn Großmamas Diener es eben geputzt hatten. Es gab da ganz große, dicke Pfeifen. Sicher waren sie es, die sprachen, wenn es aus der Orgel so schallte, daß man an die Stimme des Jüngsten Gerichts denken mußte, von der der alte Pastor mal auf der Kanzel geredet hatte. Neben diesen ganz großen, breiten Pfeifen standen in Reihen andere, die immer kleiner und schmäler wurden, so daß die dünnsten an den Lauf der Büchse erinnerten, mit der Großmamas Förster auf die Jagd ging. Deren Stimmen waren sicher die feinen, leisen, die manchmal noch ganz lang durch die Kirche klangen, wenn das eigentliche Stück schon vorüber war, das der alte Kantor,

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Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/12&oldid=- (Version vom 31.7.2018)