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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

seines Oheims. Er war eben im Begriff, einzutreten, als das Gespräch zweier Männer, die sich diesem Hause näherten, seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Soviel der matte Schein einer fernen Laterne erraten ließ, war der eine ein ältlicher, dürftig gekleideter Mann, der andere jünger, höher und festlich gekleidet.

„Brüderchen!“ sprach der ältere mit einem Akzent, der nicht dieser Gegend angehörte; „Brüderchen, bleib mir aus dem fatalen Haus! So oft Ihr wieder herauskommt, seid Ihr zwei, drei Tage ein geschlagener Mann. Laß die Bursche dort oben in Gotts Namen auf Stelzen gehen und Unsinn schwatzen, bleibet aber nur Ihr hinweg, ’s ist noch Euer Tod!“

„Ich muß sie sehen, Alter!“ sprach der Jüngere, „ich muß sie hören. Es gehört zu meinem Glück, sie gesehen zu haben.“

„Ihr seid ein Narr!“ erwiderte der andere, „sie mag Euch nicht, sie will Euch nicht. Ihr seid ein armer Teufel und gehört nicht in diese Sozietät. Aber fassen kann ich Euch nicht! ’s gehört ein Wort dazu, nur ein Wörtchen, ein bißchen von einem Geständnis, und Ihr könnt vielleicht glücklich sein. Geh fort, geh fort; scherwenze in der nobeln Welt, werde ein Schuft wie alle und vergiß den alten, armen Bunker, lebe wohl, will nichts mehr von dir.“

Er wollte unmutig weggehen, aber der junge Mann hielt ihn auf. „Sei vernünftig“, bat er; „willst auch du mich noch elend machen? Tu es immer, laß mich liegen wie einen Hund, wenn du es über dein Herz vermagst. Ich bin ja ohnedies unglücklich genug.“ – „Jammere nur nicht so!“ sprach der Alte gerührt. „Geh hinauf, wenn du es nicht lassen kannst; aber bleibe nicht da, wenn sie vorlesen, du ärgerst dich! Komm zu mir!“

„Ich komme“, erwiderte der Jüngere nach einigem Nachsinnen. „Um zehn Uhr will ich kommen. Wohin?“

„Heute in den Entenzapfen; im Rosmarin ist heilloses Volk, Schneider und Schuster und die Affen und Bären aus den Druckereien, es ist heute Montag. Aber Brüderchen, im Entenzapfen ist Cerevis[1], man trinkt es in Augsburg nicht besser.“

Ein Wagen mit hellglänzenden Laternen rollte in diesem [397] Augenblick auf das Haus zu; der junge Mann sagte eilig zu, und der alte schlich langsam die Straße hin. Der Stallmeister konnte sich kaum von seinem Erstaunen erholen. Wer konnte aus so sonderbarer Gesellschaft in den Tanzsaal seines Oheims kommen? Noch sonderbarer schien es ihm, daß man diesen glänzenden Klub, der alle geistreiche und noble Welt der Stadt vereinigte, verlassen wollte, um in dem Entenzapfen Bier zu trinken, in einer Winkelkneipe, die er kaum dreimal von seinen Stallknechten hatte rühmen gehört. Er setzte dem sonderbaren Gast, der flüchtig die Treppe hinaneilte, nach, er holte ihn im hell erleuchteten Korridor ein, er ging an ihm vorüber, sah sich um und erblickte das düstere Auge und die markierten Züge des Referendärs Palvi.

Verworrene Gedanken flogen vor seiner Seele vorüber, als er ihn erkannte; seine Worte: „Ich muß sie sehen“, der Wink des Buchhändlers, Palvi sei früher in einem Verhältnis zu Elisen gestanden, Staunen über die sonderbaren Reden mit dem Alten, wunderliche Sagen, die er früher über diesen Palvi vernommen, alle diese Gedanken wollten auf einmal zur Klarheit dringen und machten, daß er sich vornahm, über eines wenigstens sich diesen Abend Gewißheit zu verschaffen, über sein Verhältnis zu Elisen.



4. Ein Singtee.

Der größte Teil der Gesellschaft hatte sich schon versammelt, als die jungen Männer eintraten. Des Stallmeisters scharfes Auge durchirrte den Damenkreis, der an den Wänden hin sich ausbreitete; er fand endlich Elisen an einem fernen Fenster im Gespräch mit seiner Tante; aber ihr schönes Gesicht hatte nicht den Ausdruck von Heiterkeit und Laune, die er sonst so gerne sah, sie lächelte nicht, sie schien verstimmt. Es kostete ihn einige künstlich angeknüpfte Gespräche, einige Neuigkeiten vom Hofe, im Vorübergehen erzählt, um sich an jenes Fenster durchzuwinden.

Die Tante sprach so eifrig, Elise hörte so aufmerksam zu, daß er endlich die herabhängende Hand der Tante erfassen und


  1. Bier.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 396–397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_199.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)