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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

und Dichtung, diese Novellenprosaiker, diese Scott-Tieckianer, diese – genug, ich werde sie stürzen; und damit guten Morgen!“

Als dieser Rat nach seinem dixi[WS 1] mit vorgeschobenen Knien aus dem Zimmer ging, war er zwar nicht anzusehen wie ein Ritter, der zum Turnier schreitet; der Professor aber und der Doktor Zundler folgten ihm in schweigender Majestät; sie schienen als seine Knappen oder Pagen Schild und Lanze dem neuen Orlando furioso nachzutragen.



3. Ein prosaisches Herz.

Bei dem Stallmeister hatte diese Szene, nachdem das Komische, was sie enthielt, bald verflogen war, einen störenden, unangenehmen Eindruck hinterlassen. Er hatte sich mit der schönen Literatur von jeher gerade nur soviel befaßt, als ihm nötig schien, um nicht für ungebildet zu gelten; und auch hier war er mehr seiner Neigung als dem herrschenden Geschmacke gefolgt. Er wußte wohl, daß man ihn bemitleiden würde, wollte er öffentlich gestehen, daß er Smollets[1] „Peregrine Pickle“[1] für den besten Roman und einige sangbare Lieder von Kleist[2] für die angenehmsten Gedichte halte; er behielt dieses Geheimnis für sich, brummte, wenn er morgens ausritt, sein Liedchen, ohne zu wissen, welcher Klasse der Lyrik es angehöre, und las, wenn er sich einmal ein literarisches Fest bereiten wollte, ausgesuchte Szenen im „Peregrine Pickle“. Ein paar Almanachs, ein paar schöngeistige Zeitschriften durchflog er, um, wenn er darüber befragt wurde, nicht erröten zu müssen. So kam es, daß er vor Schriftstellern oder Leuten, „die etwas drucken ließen“, große Ehrfurcht hatte; denn seine Seele war zu ehrlich, um ohne Gründe von Menschen schlecht zu denken, deren Beschäftigung ihm so fremd war als [393] der Hippogryph[3] seinen Ställen. Um so verletzender wirkte auf ihn der Anblick dieser erbosten Literatoren. „Man tadelt es an Schauspielern“, sprach er zu sich, „daß sie außerhalb des Theaters oft roh und ungebildet sich zeigen, daß sie Tadel, auch den gerechten, nicht ertragen wollen und öffentlich darüber schimpfen und schelten. Aber zeigten sich denn diese Leute besser? Ist es nicht an sich schon fatal, seinen Unmut über eine Beschimpfung zu äußern? Muß man das Wirtshaus zum Schauplatz seiner Wut machen und sich so weit vergessen, daß man wie ein Betrunkener sich geberdet? Und wie schön ließen diese Leute sich in die Karten sehen! Also weil sie beleidigt sind (vielleicht mit Recht), wollen sie wieder beleidigen, wollen ihre Privatsache zu einer öffentlichen machen? Das also sind die Leiter der Bildung, das die feinfühlenden Dichter, die, wie Freund Zundler sagt, Instrumente sind, die nie einen Mißton von sich geben?“

Nicht ohne Kummer dachte er dabei an ein Wesen, das ihm vor allen teuer war. Der Buchhändler hatte nicht mit Unrecht geäußert, daß Elise Wilkow ein sehr belesenes Frauenzimmer sei. Nach Rempens Ansichten über die Stellung und den Wert der Frauen schien sie ihm beinahe zu gelehrt, in Stunden des Unmuts nannte er es wohl gar überbildet. Er hatte es niemand, kaum sich selbst gestanden, daß sie seine stillen Huldigungen nicht unbemerkt ließ, daß sie ihm manchen gütigen Blick schenkte, aus dem er vieles deuten konnte. Er war zu bescheiden, um zu glauben, daß dieses liebenswürdige Geschöpf ihn lieben könnte, und dennoch verletzte ihn ihr ungleiches, zweifelhaftes Betragen. Es war eine gewisse Koketterie des Geistes, die das liebenswürdige Mädchen in seinen Augen entstellte. Wenn er zuweilen in freundlichem Geplauder mit ihr war, wenn sie so traulich, so natürlich ihm von ihrem Hauswesen, ihren Blumen, ihren Vergnügungen erzählte, wenn er sich ganz selig fühlte, daß sie so lange, so gerne zu ihm spreche, so führte gewiß ein feindlicher Dämon einen jener Literatoren oder Dichter herbei, deren diese gute Stadt zwei


  1. a b Des Engländers Tobias Smollett (1721–71) Romane sind alle durch reiche Erfindungsgabe, derben Humor und scharfe Realistik ausgezeichnet, die oft auch arge Schlüpfrigkeit nicht vermeidet; besonders „Peregrine Pickle“ (1751 erschienen) ist ein Roman von drastischer Komik.
  2. Gemeint ist hier der Dichter und Offizier Christian Ewald von Kleist (1715–59), dessen meist wehmütige und ergreifende Lieder damals sehr beliebt waren.
  3. Hippogryph, der Name eines fabelhaften, geflügelten Rosses mit einem Greifenkopf, von Hauff hier jedoch nach Wielands Vorbild in dessen „Oberon“ („Noch einmal sattelt mir den Hippogryphen etc.“) für den Pegasus, das Dichterroß, gebraucht.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. dixi, (lat.) ich habe es gesagt
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 392–393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_197.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)