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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

so gut ist als die zweite; aber seit man Ihre vortreffliche Novelle in der ‚Amathusia für 27‘, seit man Ihre Rezensionen und Kritiken und die Sonette vor vier Wochen gelesen hat, läßt sich Großes erwarten.“

Der Dichter schien beruhigt. „Ich habe Sie immer für einen Mann von gesundem Urteil gehalten, Herr Kaper“, sprach er mit gütigem Lächeln; „haben Sie vielleicht schon von meinem neuen Roman gehört?“

„Ich habe, ich habe“, erwiderte der Buchhändler mit schlauer Miene; „und wo, raten Sie, wo ich davon gehört habe? Sie erraten nicht? Warum kommen denn der Herr Doktor so gerne in mein Gewölbe? Etwa wegen meiner Leihbibliothek, auf welche Sie immer zu schimpfen belieben, oder wegen des Vis-à-vis?“

„Wie!“ rief der junge Mann und drückte die Hand des Buchhändlers, „hätte etwa Elise –“

„Elise Wilkow, meinen Sie?“ fragte der Stallmeister, etwas näher rückend.

„Ja, meine Herren, Fräulein Wilkow“, fuhr Herr Kaper vertraulich flüsternd fort; „doch nicht zu laut, wenn ich bitten darf, denn soeben hat sich der Oberjustizreferendär Palvi dorthin gepflanzt in seine tägliche Ecke –“

„Welcher ist es?“ fragte der Stallmeister, sich umkehrend. „Ich hörte mancherlei von diesem Menschen, sonderbares Gerede von den einen und hohes Lob von andern; der junge Mann, der so düster in sein Glas sieht, ist Palvi?“

„Es ist nicht viel an ihm“, bemerkte der Dichter. „Auf der Universität – ich war noch ein Jahr mit ihm in Göttingen – war er so eine Art von Poetaster; einmal las ich ein paar gute Gedanken von ihm, die er zu einem Fest gemacht hatte; hier treibt er ein elendes, wüstes Leben und kömmt selten in gute Gesellschaft.“

„Aber gerade wegen Fräulein Wilkow dürfen wir vor ihm [385] nicht zu laut werden“, flüsterte der Buchhändler. „Ich weiß, er kam, als er noch auf Schulen war, zuweilen hinüber ins Haus, und wie mir meine Tochter sagte, soll einmal ein Verhältnis zwischen den beiden Leutchen –“

„Wie –?“ rief der Stallmeister gespannt.

„Possen!“ entgegnete der Dichter, indem er auf seinen eleganten Anzug einen Blick herabwarf. „Er sieht aus wie ein Landstreicher; bringen Sie mir Elise auch nicht in Gedanken mit diesem Menschen zusammen. Ich weiß, sie liebt die Poesie; alles Erhabene, Schöne gefällt ihr, und sagen Sie aufrichtig, hat sie von meinem Roman gesprochen?“

„Sie hat, und wie! Sie ist ein belesenes Frauenzimmer, das muß man ihr lassen; keine in der ganzen Stadt ist so delikat in der Auswahl ihrer Lektüre. So kommt es, daß sie immer in einer Art von Verbindung mit mir steht, und wenn ich etwas Neues habe, bringe ich es gleich hinüber; denn ich selbst habe es in meinen alten Tagen gerne, wenn ein so schönes Kind‚ ‚lieber Herr Kaper‘ zu mir sagt und gütig und freundlich ist. Es war letzten Sonntag, daß ich ihr den Roman ‚Die letzten Ritter von Marienburg‘ brachte, noch unaufgeschnitten, ich hatte ihn selbst noch nicht gelesen. Sie hatte eine kindliche Freude und sprach recht freundlich und viel. Und wie wir so plaudern, komme ich auch auf Ihre Novelle, welche sie ungemein lobte und Stil und Erfindung pries. Und so sagte sie denn, ob ich auch schon gehört, daß Sie einen neuen Roman schreiben?“

„Ja“, fiel der Dichter feurig ein, „und einen Roman schreibe, Kaper, wie Deutschland, Europa noch keinen besitzt!“

„Historisch doch?“ fragte der Buchhändler zweifelhaft.

„Historisch, rein geschichtlich; aber dies unter uns!“

„Historisch![1] Das möchte ich auch raten“, sprach der Verleger, eine große Prise nehmend. „Das ist gegenwärtig die Hauptsache. Wenn man es so bedenkt, es ist doch eine sonderbare Sache um den deutschen Buchhandel. Ich war Kommis in Leipzig, als


  1. Historische Romane beherrschten in der Zeit von 1820–30 fast ausschließlich das literarische Interesse in Deutschland, nachdem hier seit etwa 1815 die Übersetzungen der Romane Walter Scotts großen Beifall gefunden hatten und allenthalben nachgeahmt wurden.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 384–385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_193.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)