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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

bestrebt ist, die Ereignisse der Handlung, besonders den Tod der Prinzessin, ganz natürlich und glaubwürdig aus den Charakteren und ihren Verhältnissen zu erklären, und das verhängnisvolle Zusammentreffen der Katastrophe mit der Aufführung des „Othello“ als einen allerdings merkwürdigen und beklemmenden, aber doch eben reinen Zufall hinzustellen. Weniger rein ästhetisches, aber um so mehr literarhistorisches Interesse wird die Novelle „Die letzten Ritter von Marienburg“ in Anspruch nehmen. In ihr hat Hauff vor allem ein scharfes, vielfach satirisch angehauchtes Bild der literarischen und auch der gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit gegeben, die Parteien und Richtungen, besonders die Vertreter der Romantik und des historischen Realismus, in ihren Streitigkeiten und Fehden, mit entschiedener Parteinahme für die letzteren, gezeichnet.

Die zeitgenössische Kritik beschäftigte sich mit Hauffs Novellen teils gelegentlich ihrer Besprechung der Taschenbücher, in denen sie zuerst erschienen waren, teils in zusammenfassenden Urteilen über die Gesamtausgabe, die nach des Dichters Tode 1828 herauskam.

So schreibt L. M–k. in der „Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung“, Nr. 58 vom März 1828, über den „Othello“: die Novelle „bewegt sich viel lebendiger und rascher [als die „Bettlerin vom Pont des Arts“] und spielt an einem Hofe. Man könnte dieselbe eine Schicksalsnovelle nennen, da sich alles darum dreht, … Aber freilich trug eigentlich nichts weniger als ‚Othello‘ die Schuld! – Auch diese Novelle, so klein sie ist, hat viele interessante Partien …“.

Über „Die Sängerin“ urteilt Wolfgang Menzel bei Besprechung des „Frauentaschenbuchs auf 1827“ im „Literatur-Blatt“ (Nr. 76 vom 22. Sept. 1826) zum „Morgenblatt“: „Unter den Erzählungen zeichnet sich die ‚Sängerin‘ von Wilhelm Hauff durch leichten Stil und heiteres Kolorit am meisten aus. Zu bedauern aber ist, daß dieses schöne Talent an so gar unbedeutende, anekdotenmäßige, ideenlose Gegenstände verschwendet wird. Zwischen die Mode und die Poesie gestellt, sollte dieser junge Dichter doch ein wenig schwanken, bevor er sich blindlings der ersten in die Arme wirft.“

In Nr. 240 der „Blätter für literarische Unterhaltung“ vom 17. Okt. 1828 findet sich eine Besprechung (mit der Mitarbeiternummer 152 unterzeichnet) der beiden ersten Novellenbände Hauffs, worin über „Othello“ und „Die Sängerin“ (fälschlich als „Die Jägerin“ angeführt) folgendes Urteil gefällt wird:

[275] „‚Othello‘ ist kürzer als die vorstehende Novelle [„Die Bettlerin vom Pont des Arts“], aber im ganzen viel mehr gehalten. Die Fabel ist, soviel dem Verfasser bekannt, allerdings aus der Sage einer deutschen Residenzstadt entlehnt, und leicht mag die Geschichte von einer italienischen Oper, die nicht mehr gegeben werde, weil früher stets nach ihrer Aufführung hohe Personen gestorben seien, durch den Mund einer Dame über 65[1] dem jungen Dichter auf seinen Wanderungen durch den Norden und Süden Deutschlands zugekommen sein. Mit feinem Sinne ist sie zur Grundlage und Folie eines zarten und rührenden Bildes und hinwieder furchtbarer Täuschung und überraschender Ereignisse gemacht. Sie paßt vornehmlich für den Geschmack der Liebhaber von Schicksalsdramen, wird aber auch sonst durch das richtige Maß des Übernatürlichen und Ungewöhnlichen den Beifall der übrigen Leser gewinnen.“

„‚Die Sängerin‘ ist unstreitig eine der lieblichsten Erzählungen Hauffs. Wir begreifen wohl, wie man in finsterer Stimmung einzelnes daraus hinwegwünschen könnte. Aber wir finden bei unbefangener Prüfung nicht nur nichts Unschickliches in der Novelle, sondern sehen in dem Bilde der Signora Fiammetti ein so reines, durch reinen Sinn und Willen aus den schrecklichsten Gefahren der Unschuld gerettetes Wesen, daß eine solche Erscheinung jedem Leser wohltun muß. In dieser Novelle hat Hauff vornehmlich sein Talent der Beobachtung der Sonderbarkeiten und des Lächerlichen an Menschen des Tages und der Mode gezeigt; Vater und Sohn Bolnau sowie der Medizinalrat Lange sind Porträte, die man wohl auch in andern Galerien, aber nicht leicht in einer andern so frisch und wohlgetroffen sieht.“

Über „Die letzten Ritter von Marienburg“ im 3. Bande der Novellen, der etwas später erschien, schreibt ein anderer Mitarbeiter (Nr. 28) derselben Zeitschrift (Nr. 167 vom 20. Juli 1829): Diese „geben zuerst von tieferm Studium der Charaktere Zeugnis und interessieren durch die Verflechtung zweier Romane, deren einer im andern erscheint und dessen Lösung herbeiführt. Wenn am Schlusse dieser Novelle die Befriedigung, die während der Lesung des Frühern uns begleitet hatte, sich begrenzt und wir eine Unvollständigkeit, eine Lücke fühlen und somit die Erzählung nicht für in sich abgerundet und für ein völliges Ganzes halten können, so bestätigen wir dadurch unser richtiges Verständnis der Hauffschen Dichtung, welche das erste Glied einer durch


  1. Vgl. das vorher, S. 271, Gesagte.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 274–275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_138.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)