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„Wohl wahr; aber man denkt doch daran, und wenn ich auch jetzt keine Furcht mehr kenne, so weiß ich doch wohl noch, wie sehr ich mich vor der Hölle gefürchtet, als ich noch ein kleiner unschuldiger Knabe war.“

„Nun – gut wird es uns gerade nicht gehen“, sagte Ezechiel. „Hab’ mal einen Schulmeister darüber befragt, der sagte mir, daß nach dem Tod die Herzen gewogen werden, wie schwer sie sich versündiget hätten. Die leichten steigen auf, die schweren sinken hinab, und ich denke, unsere Steine werden ein gutes Gewicht haben.“

„Ach freilich“, erwiderte Peter, „und es ist mir oft selbst unbequem, daß mein Herz so teilnahmlos und ganz gleichgültig ist, wenn ich an solche Dinge denke.“

So sprachen sie; aber in der nächsten Nacht hörte er fünf- oder sechsmal die bekannte Stimme in sein Ohr lispeln: „Peter, schaff dir ein wärmeres Herz!“ Er empfand keine Reue, daß er sie getötet, aber wenn er dem Gesinde sagte, seine Frau sei verreist, so dachte er immer dabei: „Wohin mag sie wohl gereist sein?“ Sechs Tage hatte er es so getrieben, und immer hörte er nachts diese Stimme, und immer dachte er an den Waldgeist und seine schreckliche Drohung; aber am siebenten Morgen sprang er auf von seinem Lager und rief: „Nun ja, will sehen, ob ich mir ein wärmeres schaffen kann; denn der gleichgültige Stein in meiner Brust macht mir das Leben nur langweilig und öde.“ Er zog schnell seinen Sonntagsstaat an und setzte sich auf sein Pferd und ritt dem Tannenbühl zu.

Im Tannenbühl, wo die Bäume dichter standen, saß er ab, band sein Pferd an und ging schnellen Schrittes dem Gipfel des Hügels zu, und als er vor der dicken Tanne stand, hub er seinen Spruch an:

„Schatzhauser im grünen Tannenwald,
Bist viele hundert Jahre alt,
Dein ist all’ Land, wo Tannen stehen,
Läßt dich nur Sonntagskindern sehen.“

Da kam das Glasmännlein hervor, aber nicht freundlich und traulich wie sonst, sondern düster und traurig; es hatte ein Röcklein an von schwarzem Glas, und ein langer Trauerflor flatterte herab vom Hut, und Peter wußte wohl, um wen es traure.

[255] „Was willst du von mir, Peter Munk?“ fragte es mit dumpfer Stimme.

„Ich hab’ noch einen Wunsch, Herr Schatzhauser“, antwortete Peter mit niedergeschlagenen Augen.

„Können Steinherzen noch wünschen?“ sagte jener; „du hast alles, was du für deinen schlechten Sinn bedarfst, und ich werde schwerlich deinen Wunsch erfüllen.“

„Aber Ihr habt mir doch drei Wünsche zugesagt; einen hab’ ich immer noch übrig.“

„Doch kann ich ihn versagen, wenn er töricht ist“, fuhr der Waldgeist fort; „aber wohlan, ich will hören, was du willst?“

„So nehmt mir den toten Stein heraus und gebet mir mein lebendiges Herz“, sprach Peter.

„Hab’ ich den Handel mit dir gemacht?“ fragte das Glasmännlein; „bin ich der Holländer-Michel, der Reichtum und kalte Herzen schenkt? Dort, bei ihm mußt du dein Herz suchen.“

„Ach, er gibt es mir nimmer zurück“, antwortete Peter.

„Du dauerst mich, so schlecht du auch bist“, sprach das Männlein nach einigem Nachdenken. „Aber weil dein Wunsch nicht töricht ist, so kann ich dir wenigstens meine Hülfe nicht abschlagen. So höre. Dein Herz kannst du mit keiner Gewalt mehr bekommen, wohl aber mit List, und es wird vielleicht nicht schwer halten; denn Michel bleibt doch nur der dumme Michel, obgleich er sich ungemein klug dünkt. So gehe denn geraden Weges zu ihm hin und tue, wie ich dir heiße.“ Und nun unterrichtete er ihn in allem und gab ihm ein Kreuzlein aus reinem Glas: „Am Leben kann er dir nicht schaden, und er wird dich freilassen, wenn du ihm dies vorhalten und dazu beten wirst. Und hast du dann, was du verlangt hast, erhalten, so komm wieder zu mir an diesen Ort.“

Peter Munk nahm das Kreuzlein, prägte sich alle Worte ins Gedächtnis und ging weiter nach Holländer-Michels Behausung. Er rief dreimal seinen Namen, und alsobald stand der Riese vor ihm. „Du hast dein Weib erschlagen?“ fragte er mit schrecklichem Lachen; hätt’ es auch so gemacht, sie hat dein Vermögen an das Bettelvolk gebracht. Aber du wirst auf einige Zeit außer Landes gehen müssen, denn es wird Lärm

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 254–255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_128.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)