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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

hohem Grade auf sich gezogen hatte, stand jetzt auf, verbeugte sich vor dem Scheik und fing mit wohltönender Stimme also zu sprechen an:





Die Geschichte Almansors.

O Herr! Die Männer, die vor mir gesprochen haben, erzählten mancherlei wunderbare Geschichten, die sie gehört hatten in fremden Ländern; ich muß mit Beschämung gestehen, daß ich keine einzige Erzählung weiß, die Eurer Aufmerksamkeit würdig wäre. Doch wenn es Euch nicht langweilt, will ich Euch die wunderbaren Schicksale eines meiner Freunde vortragen.

Auf jenem algierischen Kaperschiff, von welchem mich Eure milde Hand befreit hat, war ein junger Mann in meinem Alter, der mir nicht für das Sklavenkleid geboren schien, das er trug. Die übrigen Unglücklichen auf dem Schiffe waren entweder rohe Menschen, mit denen ich nicht leben mochte, oder Leute, deren Sprache ich nicht verstand; darum fand ich mich zu der Zeit, wo wir ein Stündchen frei hatten, gerne zu dem jungen Mann. Er nannte sich Almansor und war seiner Aussprache nach ein Egyptier. Wir unterhielten uns recht angenehm miteinander und kamen eines Tages auch darauf, uns unsere Geschichte zu erzählen, da dann die meines Freundes allerdings bei weitem merkwürdiger war als die meinige.

Almansors Vater war ein vornehmer Mann in einer egyptischen Stadt, deren Namen er mir nicht nannte. Er lebte die Tage seiner Kindheit vergnügt und froh und umgeben von allem Glanz und Bequemlichkeit der Erde. Aber er wurde dabei doch nicht weichlich erzogen, und sein Geist wurde frühzeitig ausgebildet; denn sein Vater war ein weiser Mann, der ihm Lehren der Tugend gab, und überdies hatte er zum Lehrer einen berühmten Gelehrten, der ihn in allem unterrichtete, was ein junger Mensch wissen muß. Almansor war etwa zehn Jahre alt, als die Franken über das Meer her in das Land kamen und Krieg mit seinem Volke führten.

Der Vater des Knaben mußte aber den Franken nicht sehr günstig gewesen sein; denn eines Tages, als er eben zum Morgengebet gehen wollte, kamen sie und verlangten zuerst seine Frau [99] als Geisel seiner treuen Gesinnungen gegen das Frankenvolk, und als er sie nicht geben wollte, schleppten sie seinen Sohn mit Gewalt ins Lager.

Als der junge Sklave also erzählte, verhüllte der Scheik sein Angesicht, und es entstand ein Murren des Unwillens im Saal. „Wie“, riefen die Freunde des Scheik, „wie kann der junge Mann dort so töricht handeln und durch solche Geschichten die Wunden Ali Banus aufreißen, statt sie zu mildern? Wie kann er ihm seinen Schmerz erneuern, statt ihn zu zerstreuen?“ Der Sklavenaufseher selbst war voll Zorn über den unverschämten Jüngling und gebot ihm, zu schweigen. Der junge Sklave aber war sehr erstaunt über dies alles und fragte den Scheik, ob denn in seiner Erzählung etwas liege, das sein Mißfallen erregt habe. Der Scheik richtete sich bei diesen Worten auf und sprach: „Seid doch ruhig, ihr Freunde; wie kann denn dieser Jüngling etwas von meinem betrübten Schicksal wissen, da er nur kaum drei Tage unter diesem Dache ist! Kann es denn bei den Greueln, die diese Franken verübten, nicht ein ähnliches Geschick wie das meine geben? Kann nicht vielleicht selbst jener Almansor – doch, erzähle immer weiter, mein junger Freund!“ Der junge Sklave verbeugte sich und fuhr fort:

Der junge Almansor wurde also in das fränkische Lager geführt. Es erging ihm dort im ganzen gut; denn einer der Feldherrn ließ ihn in sein Zelt kommen und hatte seine Freude an den Antworten des Knaben, die ihm ein Dragoman[1] übersetzen mußte; er sorgte für ihn, daß ihm an Speise und Kleidung nichts abginge; aber die Sehnsucht nach Vater und Mutter machte dennoch den Knaben höchst unglücklich. Er weinte viele Tage lang; aber seine Tränen rührten diese Männer nicht. Das Lager wurde aufgebrochen, und Almansor glaubte jetzt wieder zurückkehren zu dürfen; aber es war nicht so; das Heer zog hin und her, führte Krieg mit den Mamelucken, und den jungen Almansor schleppten sie immer mit sich. Wenn er dann die Hauptleute und Feldherrn anflehte, ihn doch wieder heimkehren zu lassen, so verweigerten sie es und sagten, er müsse ein


  1. Dolmetscher.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 98–99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_050.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)