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Jahre haben Sie jenem Mann geweiht, jenem Eigensüchtigen, der nur sich und immer nur sich bedachte. Jetzt liegt er auf einem öden Felsen, seine Genossen sind zerstreut, aufgerieben – was, was haben denn Sie gewonnen?“

„Ein Endchen rotes Band und die Erinnerung“, antwortete er lächelnd, indem er mit einer Thräne im Auge auf seine Brust herabsah. Es lag etwas so Ergreifendes, Erhabenes in dem Wesen des Mannes, als er diese Worte sprach, daß Rantow, errötend, als hätte er eine Thorheit gesagt, seine Augen von ihm abwandte und betreten den Sohn ansah. Doch dieser schien nicht auf das Gespräch zu merken, er blickte unverwandt und eifrig auf ein kleines Gebüsch am Fluß, von welchem man eben das Plätschern eines Ruders vernahm; jetzt teilten sich die Zweige der Weiden, und ein schöner Mädchenkopf bog sich lächelnd daraus hervor.


7.

„Unsere schöne Nachbarin!“ rief der General freundlich und eilte auf sie zu, ihr die Hand zu bieten; die jungen Männer folgten, und mittels seiner trefflichen Lorgnette entdeckte Rantow zu seinem nicht geringen Vergnügen, daß es Anna sei, die hier so plötzlich gleich einer Najade[1] aus dem Fluß auftauchte. Der General küßte sie auf die Stirne und bot ihr dann den Arm; sie grüßte seinen Sohn kurz und freundlich, fragte flüchtig nach des Generals Schwester und verweilte dann mit einem Ausdruck der Verwunderung auf ihrem Gast. „Du hier, Vetter Albert?“ rief sie, indem sie ihm die Hand bot. „Nun, das muß ich gestehen, für so klug hätte ich dich nicht gehalten, deinen schönen Verstand in Ehren, daß du sogleich die angenehmste Gesellschaft in der ganzen Gegend auffinden würdest; welcher Zauberer hat dich denn hieher gebracht?“

„Mein Sohn“, sagte der General, „hatte das Glück, Ihren Vetter auf seiner kleinen Reise kennen zu lernen und fand ihn jenseits in Ihrem Forst –“

[503] „Und lud mich ein, ihn hierher zu begleiten“, fuhr Rantow fort, „wo ich schon wieder wie gestern das Unglück hatte, zu streiten und immer heftiger zu widersprechen. Du lächelst, Anna? Aber es ist, als brächte es hier das Klima so mit sich; zu Hause bin ich der friedfertigste Kerl von der Welt, habe vielleicht in zwei Jahren nicht so viel disputiert, als hier in zwei Tagen, und wie käme ich vollends mit Herren, wie der Herr General oder mein Onkel, in Streit?“

„Ist es möglich?“ fragte der General, „mit Herrn von Thierberg, mit Ihrem Vetter, Ännchen, kommt er in Streit? Ich dachte doch, da Sie mit mir in politischen Ansichten so gar nicht übereinstimmen, Sie müßten von Ihres Oheims Grundsätzen eingenommen sein?“

„Nun, so ganz unmöglich ist eine dritte oder vierte Meinung doch nicht“, bemerkte der junge Willi lächelnd; „ich bin gewiß nicht von Ihrem politischen Glaubensbekenntnis und glaube, daß sich mit der Welt jetzt etwas machen ließe, wenn ihr nicht fünfzehn Jahre früher mit Feuer und Schwert reformiert und die Menschen eingeschüchtert hättet; aber mit Herrn von Thierberg lebe ich deswegen doch in ewigem Kampf, und wir beide haben unsere gegenseitige Bekehrung längst aufgegeben.“

„Demagogen streiten gegen alle Welt“, erwiderte ihm Anna lächelnd und doch, wie es schien, ein wenig unmutig. „Sie sind ein Inkurabel in diesem Spital der Menschheit; haben Sie je gehört, daß ein solcher politischer Ritter von la Mancha[2], solch ein irrender Weltverbesserer von Grund aus kuriert worden wäre?“

„Ich sehe, Sie wollen den Krieg auf mein Land spielen“, sagte Robert, „Sie wollen, wie immer, meine Ansichten zur Zielscheibe Ihres liebenswürdigen Witzes machen, und doch soll es Ihnen nicht gelingen, mich aus der Fassung zu bringen, heute wenigstens gewiß nicht. Sie kennen wohl die schönen Eigenschaften Ihrer Fräulein Kousine noch nicht ganz, Rantow? Nehmen Sie sich um Gotteswillen in acht, ihr zu trauen!“


  1. Najaden sind in der griechischen Mythologie Wassernymphen.
  2. „Der weise Junker Don Quixote de la Mancha“ heißt bekanntlich der Held in Cervantes’ gleichnamigem Romane.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 502–503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_254.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)