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beißendes Lob der alten Zeit an, das regelmäßig ein sanftes Exordium, drei Teile über Hauswesen, Kleidung und Kinderzucht, eine Nutzanwendung nebst einem frommen Amen enthält. Solche ältere Frauen pflegen gegen jüngere Männer, die ihnen einige Aufmerksamkeit schenken, einen gewissen geheimnisvoll-zutraulichen Ton anzunehmen. Sie haben für junge Mädchen und schöne Frauen, die jetzt dieselbe Stufe in der Gesellschaft bekleiden, welche sie einst selbst behauptet hatten, feine und bezeichnende Spitznamen und erzählen den Herren, die ihnen ein Ohr leihen, allerlei „kuriose Sachen“ von dem „Eichhörnlein und seiner Mutter“, auch, „wie es in diesem oder jenem Haus zugeht“, „galante Abenteuer von jenem ältlichen, gesetzten Herrn, der nicht immer so gewesen“, und sind sie nur erst in dem abenteuerlichen Gebiet geheimer Hofgeschichten und schlechter Ehen, so spinnen sie mit zitternder Stimme, feinem Lächeln und den teuersten Versicherungen Geschichten aus, die man (natürlich mit veränderten Namen) sogleich in jeden Almanach könnte drucken lassen.

Niemand weiß so trefflich wie sie das Kostüm, das Gespräch, die Sitten „vor fünfzig Jahren“ wiederzugeben; ich glaubte einst bei einer solchen Unterhaltung die Reifröcke rauschen, die hohen Stelzschuhe klappern, die französischen Brocken schnurren zu hören, die ganze Erzählung roch nach Ambra und Puder, wie die alten Damen selbst. Und so frisch und lebhaft ist ihr Gedächtnis und Minenspiel, daß ich einmal, als mir eine dieser Damen von einer längst verstorbenen Frau Ministerin erzählte und ihren Gang und ihren schnarrenden Ton nachahmte, unwillkürlich mich erinnerte, daß ich diese Frau als Kind gekannt, daß sie mir mit derselben schnarrenden Stimme ein Zuckerbrot geschenkt habe. Mehrere Novellen, die ich aufgeschrieben, beziehen sich auf geheime Familiengeschichten oder sonderbare, abenteuerliche Vorfälle, deren wahre Ursachen wenig ins Publikum kamen, und ich kann versichern, daß ich sie alle teils in Berlin, teils in Hannover, Kassel, Karlsruhe, selbst in Dresden eben von solchen alten Frauen, den Chroniken ihrer Umgebung, gehört und oft wörtlich wiedererzählt habe.

Nur so ist es möglich, daß wir auch ohne jenen Schlüssel zum [267] Feenreich gegenwärtig in Deutschland eine so bedeutende Menge Novellen zu Tage fördern. Die „wundervolle Märchenwelt“ findet kein empfängliches Publikum mehr, die lyrische Poesie scheint nur noch von wenigen geheiligten Lippen tönen zu wollen, und vom alten Drama sind uns, sagt man, nur die Dramaturgen geblieben. In einer solchen miserablen Zeit, Verehrter, ist die Novelle ein ganz bequemes Ding. Den Titel haben wir, wie eine Maske, von den großen Novellisten entlehnt, und Gott und seine lieben Kritiker mögen wissen, ob die nachstehenden Geschichten wirkliche und gerechte Novellen sind.

Ich habe, mein werter Herr, dies alles gesagt, um Ihnen darzuthun, wie ich eigentlich dazu kam, Novellen zu schreiben, wie man beim Novellenschreiben zu Werk gehe, und – daß alles getreue Wahrheit sei, wenn auch keine poetische, was ich niedergeschrieben. Sie werden sich noch der guten Frau von Welkerlohn erinnern, die immer ein Kleid von verblichenem, gelbem Sammet trug, das nur eine weiche Fortsetzung ihrer harten, gelben Züge schien. Von ihr habe ich die Geschichte: „Othello“ betitelt. Sie war viel zu diskret, um Namen und die Residenz zu nennen, wo diese sonderbaren Szenen vorfielen, aber wenn ich bedenke, daß sie zur selben Zeit Hofdame in Scheerau war, als Jean Paul dort lebte, so kann ich nicht anders glauben, als die Geschichte sei an jenem Hofe vorgefallen. Die zweite Novelle habe ich aus dem Mund der alten Gräfin Nelkenroth; man hält sie allgemein für eine böse Frau, aber ich kann versichern, daß ich sie über Josephens Schicksal Thränen vergießen sah; man will zwar behaupten, daß sie oft in Gesellschaft weinerliche Geschichten erzählte, weil ihr vor 20 Jahren ein Maler versicherte, sie habe etwas von einer „mater dolorosa“; aber so viel ist gewiß, daß sie mehrere Personen des Stücks gekannt haben will, und die Frau, bei welcher Herr v. Fröben in S. gewohnt hat, erzählte mir manche Sonderbarkeiten von ihm. Ich und viele Leute in S., welchen ich die Geschichte wiedererzählte, gaben sich vergebliche Mühe, über Herrn v. Fröben und die Personen, mit welchen er in Berührung kam, etwas Näheres zu erfragen. Wir erfuhren nur, daß das „Bild der Dame“ nach dem Gemälde in der Boisseréeschen

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 266–267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_136.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)