Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 086.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Achtung, und als vollends der Präsident, ein Kenner in solchen Dingen, das Theresienkreuz[1] auf seiner Brust wahrnahm, stieg seine Achtung zur Verehrung. Er wußte, daß, wer dieses Zeichen trug, ein Ritter im vollen Sinn des Wortes war, und daß ein solcher sich gewiß einer That rühmen durfte, die nicht die Laune des Glücks oder hohe Protektion zu einer glänzenden erhoben, sondern die, aufgesucht unter der Gefahr, hohen Mut und tiefe Einsicht bewährte.

Vorzüglich Ida fühlte sich von diesem Mann wunderbar angezogen. Seit der Spannung zwischen ihr und Martiniz hatte sie immer mit geheimem Widerwillen der Theestunde, sonst ihre liebste im ganzen Tag, entgegengesehen. Der Graf kam entweder gar nicht, oder sehr spät, oder unterhielt er sich mit der Aarstein. Die Sorben und andere dergleichen Fräulein und Damen kamen ihr schal und langweilig vor, daß sie glaubte, nicht eine Stunde bei ihnen sitzen zu können; der Rittmeister, dessen Geschäfte beim hiesigen Regiment noch immer nicht zu Ende gehen wollten, war ihr am fatalsten von allen.

Sein erstes war immer, daß er sich mit seinem Stuhl neben sie drängte und dann so bekannt und vertraut that, als wären sie Zeltkameraden, er half ihr Thee einschenken, Arrak und Milch umherreichen und verrichtete alle jene kleine Dienste, die einem begünstigten Liebhaber von seiner Dame erlaubt werden. Dabei nahm er sich oft die Freiheit, ihr in die Ohren zu flüstern, aber die gleichgültigsten Dinge, etwa ob sie noch mehr Milch oder noch mehr Zucker bedürfe, sah aber dabei aus, wie wenn er die zärtlichste Liebeserklärung gewagt hätte.

Daher kam ihr der alte Ladenstein sehr zu statten. Sie sorgte dafür, daß er neben sie zu sitzen kam, und nun durfte sie doch für diesen Abend sicher sein, daß der Rittmeister nicht ihr Nachbar würde.

Und wie angenehm war seine Unterhaltung! Alles, was er [167] sagte, war so tief und klar gedacht, so angenehm und interessant, und trotz seines grauen Haares, trotz seiner sechzig Jährchen, die er haben mochte, war eine Kraft, ein Feuer in seinen Reden, das einem Jüngling keine Schande gemacht hätte. Aber auch dem alten Herrn schien das Mädchen zu behagen; sein ernstes Gesicht heiterte sich zusehends auf, seine lebhaften Augen wurden glänzender – solch ein Mädchen hatte er selten getroffen, und er war doch auch ein bißchen in der Welt gewesen. Diesen klaren Verstand, dieses richtige Urteil, diese Gutmütigkeit neben so viel Humor und Witz, er war ganz entzückt. Und überall war sie zu Haus; er bewunderte die wunderherrlichen Blumen, die sie machte; man kam von diesen auf die natürlichen Blumen, auf seltene Pflanzen. Er beschrieb ihr eine Blume, die so wunderschön aussehe, und die sich zu Guirlanden gar hübsch ausnehmen würde, aber der Name fiel ihm nicht ein. Kaum hatte er die Form der Blätter erwähnt, so sagte sie ihm auch schon, daß die Blume Calla aethiopica[2] heißen müsse, weiß blühe, und auch „Äthiopische Drachenwurz“ genannt werde. Er bekam ordentlich Respekt vor dem holden Kind, das so gelehrt sein konnte; aber da war nicht jenes Prahlen mit Kenntnissen, das man bei gelehrten Damen so oft findet. Nein, als die Blume abgemacht war, sprach sie auch kein Wörtchen mehr von Botanik, und es war, als habe sie nie davon gesprochen.

Er kam auf die neueste Litteratur und pochte da an; wahrhaftig, sie hatte alles gelesen und zwar nicht nur, was man so aus Leihbibliotheken bekommt oder in einem Almanach findet; nein! sie hatte interessante Geschichtswerke gelesen und eigentlich studiert. Aber auch daraus machte sie nichts Großes. Je wichtiger das Werk war, desto bescheidener war ihr Urteil, und dabei that sie so unbefangen, als ob jedes Mädchen dergleichen gelesen hätte. Und als sie auf ausländische Litteratur kamen, als sie von Lord Byron, seinen herrlichen Gedichten und seinem unglücklichen Ende sprachen, als der alte Herr mit dem Theresienkreuz ihn dennoch glücklich pries, weil sein Geist sich höher als alle


  1. Achteckiges Kreuz, dessen vorderer, runder Mittelschild die Umschrift „Fortitudini“ (d. h. der Tapferkeit) trägt; es ist das Ordenszeichen des Maria-Theresia-Ordens, eines österreichischen militärischen Verdienstordens für eine „besondere herzhafte That“, den Maria Theresia 1757 zur Erinnerung an den Sieg bei Kolin stiftete.
  2. Eine Zierpflanze aus der Gattung Richardia Kunth., mit großen, pfeilförmigen Blättern und weißen Blütenscheiden.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 166–167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_086.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)