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ausholen, der erste Glockenschlag von Mitternacht rollte dumpf über die Kirche hin, und zugleich hallten eilende Schritte den mittleren Säulengang herauf dem Altar zu. Es war Martiniz mit seinem Diener.

Blaß und verstört setzt sich jener, wie er alle Nacht zu thun pflegte, auf die Stufen des Altars.

Zuerst sah er still vor sich hin, er weinte und seufzte, und wie in jener Nacht, da ihn der Küster zum erstenmal gesehen hatte, rief er mit wehmütiger, bittender Stimme: „Bist du noch immer nicht versöhnt? Kannst du noch immer nicht vergeben, Antonio?“ Seine Stimme tönte voll und laut durch die Gewölbe der Kirche, aber kaum war der letzte Laut verhallt, da rief eine silberreine, glockenhelle Stimme wie die eines Engels vom Himmel: „Er hat vergeben!“ Freudiger Schrecken durchzuckte den Grafen, seine Wangen röteten sich, sein Auge glänzte, er streckte seine Rechte zum Himmel hinauf und rief: „Wer bist du, der du mir Vergebung bringst von den Toten?“ Da rauschte es an jenem vorspringenden Pfeiler, eine dunkle Gestalt trat hervor, der Graf trat bebend einen Schritt zurück, sein Haar schien sich emporzusträuben, sein Blick hing starr an jeder Bewegung des Nahenden; die Gestalt kam näher und näher, der milde Schein der Laterne empfing sie, noch einige Schritte und – der dunkle Mantel fiel, ein seraphähnliches Wesen, – Ida – mit der Taubenfrommheit eines himmlischen Engels schwebte auf den Grafen zu. Dieser war in ein willenloses Hinstarren versunken, noch immer glaubte er einen Bewohner höherer Räume zu sehen, bis ihn die süße, wohlbekannte Stimme aus der Betäubung weckte:

„Ich bin es“, flüsterte, als sie ganz nahe zu ihm getreten war, das mutige, engelschöne Mädchen, „ich bin es, die Ihnen die Vergebung eines Toten verkündigt. Ich bringe sie Ihnen im Namen des Gottes, der ein Gott der Liebe und nicht der Qual ist, der dem Sterblichen vergibt, was er aus Übereilung und Schwachheit gesündigt, wenn ernste Reue den Richter zu versöhnen strebt. Dies lehrt mich mein Glaube, es ist auch der Ihrige; ich weiß, Sie werden ihn nicht zu schanden machen. Du aber“, setzte sie mit feierlicher Stimme hinzu, indem sie sich gegen das Schiff der [125] Kirche wandte, „du, der du durch die Hand des Freundes fielst, wenn du noch diesseits Ansprüche hast an dieses reuevolle Herz, so erschein’ in dieser Stunde, zeige dich unseren Blicken oder gib ein Zeichen deiner Nähe!“ Tiefe Stille in dem Gotteshause, tiefe Stille draußen in der Nacht, kein Lüftchen regte sich, kein Blättchen bewegte sich. Mit seligem Lächeln, mit dem Sieg der Überzeugung in dem strahlenden Auge wandte sich Ida wieder zum Grafen: „Er schweigt“, sagt sie, „sein Schatten kehrt nicht wieder, – er ist versöhnt!“

„Er ist versöhnt“, jubelte der Graf, daß die Kirche dröhnte, „er ist versöhnt und kehrt nicht wieder! O Engel des Himmels, Sie, Sie haben ihn gebannt, Ihre treue Freundschaft für mich Unglücklichen, die ebenso hoch, ebenso rein ist als Antonios Treue und Großmut, sie hat den blutigen Schatten versöhnt, wie kann ich Ihnen danken –“

„Danken Sie dem, der stark war in mir Schwachen“, sagte Ida, indem sie ihm sanft die Hand entzog, die er gefaßt und mit glühenden Küssen bedeckt hatte, „wollen Sie aber mir etwas mehr gönnen als das Bewußtsein, dem Freunde genützt zu haben, so danken Sie mir dadurch, daß Sie sich wieder den Menschen schenken, daß Sie wieder heiter und froh sind, wie es Menschen gebührt, denen Gott die schöne Erde zu einem Ort der Freude geschenkt hat.“ Sprachlos faßte er das zarte Händchen wieder und drückte es an sein klopfendes Herz, sein freudiges Lächeln, ein seliger Blick sagten ihr, daß er erfüllen wolle, was sie ihm geheißen.

Der Hofrat war indes näher getreten und hatte mit freudiger, zuweilen etwas schalkhafter Miene die schöne Gruppe betrachtet. Man konnte aber auch nichts Schöneres sehen. Der hohe, schlanke, junge Mann mit dem zarten, sprechenden Gesicht, aus dem jetzt alle Wehmut, alle Trauer gewichen war, das jetzt nur Freude und Glück aussprach, an seiner Seite die feine Seraphgestalt mit dem lieblichen Engelsköpfchen, das aus den sinnigen, schmelzenden Augen so freudig, so schmachtend an jenem hinaufsah, – sie beide umstrahlt von dem ungewissen, milden Schein der Laterne, an den Seiten und im Hintergrund der Altar

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 124–125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_065.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)