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unserer Gegend ankauft und seine drei Millionen ins Land zieht, will machen, daß er mein Mädchen da lie–“

„Still, um Gotteswillen“, unterbrach ihn die Kleine und preßte ihm das kleine, weiche Patschhändchen auf den Mund, daß er nicht weiter reden konnte. „Wer spricht denn davon; einen Millionär mag ich gar nicht; es wäre ganz gegen meine Grundsätze, nur die Schlange im Residenzparadies soll ihn nicht haben; vom übrigen kein Wort mehr, unartiger Mann!“

Verschämt, wie wenn der Hofrat durch die glänzenden Augen hinabschauen könnte auf den spiegelklaren Grund ihrer Seele, wo die Gedanken sich insgeheim[WS 1] drängten und trieben, sprang sie auf und an den Flügel hin, übertönte die Schmeichelworte des Hofrats mit dem rauschendsten Fortissimo, drückte sich die weichen Kniee rot an dem Saitendämpfer, den sie hinauftrieb, um die Töne so laut und schreiend als möglich zu machen, um durch den Sturm, den sie auf den Elfenbeintasten erregte, den Sturm, der in dem kleinen Herzchen keinen Raum hatte, zu übertäuben.

Verzweiflungsvoll über den halloenden Schmetter dieses Furioso enteilte der Hofrat dem Salon; aber kaum hatte er die Thüre geschlossen, so stieg sie herab aus ihrem Tonwetter, die gellenden Akkorde lösten sich auf in ein süßes, flüsterndes Dolce, sie ging über in die schöne Melodie: „Freudvoll und leidvoll“[WS 2], mit Meisterhand führte sie dieses Thema in Variationen aus, die aus ihrem innersten Leben heraufstiegen, durch alle Töne des weichsten Moll klagte sie ihren einsamen Schmerz, bis sie fühlte, daß diese Töne sie viel zu weich machen, und ihr Spiel, ohne seine Dissonanzen aufzulösen, schnell wie ihre Hoffnung endete.



Die Mondwirtin.

Im Goldenen Mond drüben ging es hoch her. Drei Zimmer in der Belletage[WS 3] vorn heraus hatte schon lange Zeit kein Fremder mehr gehabt; die Mondwirtin hatte daher alles aufgeboten, um diese Zimmer so anständig als möglich zu dekorieren. Das mittlere hatte sie durch einen eleganten Armoir[WS 4] zum Arbeits-, durch ein großes Sofa zum Empfangzimmer eingerichtet. Das links [57] nannte sie Schlafkabinett, das rechts, weil sie ihren ganzen Vorrat überflüssiger Tassen und eine bronzierte Maschine auf einen runden Tisch gesetzt hatte, das Theezimmer. Auch an der Table d’hôte, wo sonst nur einige Individuen der Garnison, einige Forst- und Justizassessoren, Kreissteuereinnehmer und dergleichen, selten aber Grafen saßen, waren bedeutende Veränderungen vorgegangen. Zum Dessert kam sogar das feinere Porzellän mit gemalten Gegenden und die damaszierten Straßburger Messer, die sonst nur alle hohe Festtage aufgelegt wurden.

Daß ihr angesehener Gönner und spezieller Freund, der Hofrat Berner, jetzt im Mond statt zu Haus essen wollte und augenscheinlich dem Grafen zu Ehren, zog einen neuen Nimbus um die Stirn des letzteren in den Augen der Frau Mondwirtin. Sie war ganz vernarrt in ihren neuen Gast; schon als er in dem herrlichen Landau mit den vier Postpferden, den aus Leibeskräften blasenden Schwager[WS 5] darauf, vorfuhr, als der reichbordierte Bediente dem jungen Mann heraushalf, sagte sie gleich zu ihrem Ehezärter: „Gib acht, das ist was Vornehmes.“

Als sie aber dem Brktzwisl, so nannte sich der gute alte Diener, die Kommoden in den drei Zimmern öffnete, ihm die Kleider und Wäsche seines Herrn aus den Koffern nehmen, sortieren und ordnen half, da schlug sie vor Seligkeit und Staunen die Hände zusammen. Sie hatte doch von ihrer Mutter gewiß recht feine, sanfte Leinwand zum Brauthemdchen bekommen, aber das war grober Zwillich gegen diese Hemden, diese Tücher – nein, so etwas Extrafeines, Schneeweißes konnte es auf der Erde nicht mehr geben, wie dieses.

Es ist kein übles Zeichen unserer Zeit, wo der Edelmann seinen Degen abgelegt hat und Grafen und Barone im nämlichen Gewand wie der Bürgerliche erscheinen, daß die Frauen dem Fremden, der zu ihnen kommt, nach dem Herzen sehen, das heißt nach seiner Wäsche. Ist sie grob, unordentlich oder gar schmutzig, so zeigt sie, daß der Herr aus einem Hause sein müsse, wo man entweder seine Erziehung sehr vernachlässigte oder selbst malpropre[WS 6] und unordentlich war; wo aber der bläuliche oder milchweiße Glanz des Halstuches, die feinen Fältchen der Busenkrause

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ingeheim
  2. Das Lied Klärchens aus Goethes Egmont wurde 1809 von L. v. Beethoven vertont (Wikipedia).
  3. Das bevorzugte Stockwerk eines Hauses, damals in der Regel das erste Obergeschoss.
  4. Armoire (frz. Schrank), hier ein Schreib- oder Bücherschrank.
  5. Damals übliche Bezeichnung für den Kutscher.
  6. Französisch: unsauber, schmutzig.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 56–57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_031.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)