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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Ich ging nach Hause; ich dachte nach, ob nicht Rettung möglich sei, ob ich sie nicht losmachen könne von dieser schrecklichen Verbindung. Doch, war nicht zu befürchten, daß sie mir mißtrauen werde? Sie wußte, ich liebe sie, kannte sie mich hinlänglich, um nicht an der Reinheit meiner Absichten zu zweifeln? Ich konnte es nicht über mich gewinnen, ihr selbst ihr Unglück zu verkünden. Nur Einen Ausweg glaubte ich offen zu sehen; ich wollte ihn selbst zur Rede stellen, den Elenden, ich wollte ihn bewegen, einen entscheidenden Schritt auf die eine oder die andere Seite zu thun. Ja, darin glaubte ich einen glücklichen Weg gefunden zu haben; er selbst mußte ihr sagen, daß er nicht mehr verdiene, von ihr geliebt zu werden; und dann, dachte ich, dann wird sie zwar unglücklich sein, aber ich will versuchen, sie glücklich zu machen, durch ein langes Leben voll Treue und Liebe will ich ihr Unglück zu mildern suchen.“

„Aber wie konnten Sie glauben“, rief ich, über diese romantischen Ideen unwillkürlich lächelnd, „wie konnten Sie glauben, Freund, daß ein Kapitän West zu diesem sonderbaren Geständnisse sich hergeben werde? In Romanen mag dies der Fall sein, aber Herr! in der Wirklichkeit? Haben Sie je einen Narren der Art gekannt?“

„Ach, ich dachte zu gut von den Menschen“, antwortete er. „Ich dachte, wie ich muß jeder fühlen – Ich ging in die Wohnung des Kapitän West. Er wohnte schlecht, beinahe ärmlich. Ich traf ihn, wie er einen schönen Knaben von acht Jahren auf den Knien hatte, welchen er lesen lehrte. Errötend setzte er den Knaben nieder und stand auf, mich zu begrüßen. ‚Ei Papa!‘ rief der Kleine, ‚wie sieht dir dieser Herr so ähnlich.‘

Der Kapitän geriet in Verlegenheit und führte den Knaben aus dem Zimmer. ‚Wie‘, sagte ich zu ihm, ‚Sie haben schon einen Knaben von diesem Alter? Waren Sie früher verheiratet?‘

Er suchte zu lachen, und die Sache in einen Scherz zu drehen; er behauptete, der Knabe gehöre in die Nachbarschaft, besuche ihn zuweilen und nenne ihn Papa, weil er sich seiner annehme.

‚Er gehört wohl der Donna Ines?‘ fragte ich, indem ich ihn scharf ansah. Noch nie zuvor hatte ich gesehen, wie schrecklich das [377] böse Gewissen sich kundthut; er erblaßte; seine Augen glänzten wie die einer Schlange, ich glaubte, er wolle mich durchbohren. Noch ehe er sich hinlänglich gesammelt hatte, um mir zu antworten, sagte ich ihm gerade ins Gesicht, was ich von ihm wisse, und was ich von ihm verlange, um das Fräulein nicht völlig unglücklich zu machen.

Er lief in Wut im Zimmer umher, er schimpfte auf Zwischenträger und Zudringliche; er behauptete, ich habe die ganze Geschichte aufgedeckt, um Luisen von ihm zu entfernen. Ich ließ ihn ausreden; dann sagte ich ihm mit kurzen Worten, wie ich sein Verhältnis zu der Spanierin erfahren habe, und bat ihn noch einmal mit den herzlichsten Tönen unserer Sprache, das Fräulein so schonend als möglich von sich zu entfernen.

Es gelang mir, ihn zu rühren; aber nun hatte ich eine andere unangenehme Szene durchzukämpfen; er klagte sich an, er weinte, er verfluchte sich, das holde Geschöpf so schändlich betrogen zu haben; er schwor, sich von der Spanierin zu trennen; er flehte mich an, ihn zu retten; er gestand mir, daß er sich von einem Netz umstrickt sehe, das er nicht gewaltsam durchbrechen könne, weil einige hohe Geistliche der Kirche kompromittiert würden. Er ging so weit, mich zu zwingen, seine Geschichte anzuhören, um vielleicht milder über ihn urteilen zu können. Es war die Geschichte eines – Leichtsinnigen. Dieses Wort möge entschuldigen, was vielleicht schlecht genannt werden könnte. Es lag in dem Wesen dieses Mannes ein Etwas, das ihn bei den Frauen sehr glücklich machen mußte. Es war der äußere Anschein von Kraft und Entschlossenheit, die ihm übrigens sein ganzes Leben hindurch gemangelt zu haben schienen. Er mußte eine für seinen Stand ausgezeichnete Bildung gehabt haben, denn er sprach sehr gut, seine Ausdrücke waren gewählt, seine Bilder oft wahrhaft poetisch, er konnte hinreißen, so daß ich oft glaubte, er spreche mit Eifer von einem Dritten während er mir seinen eigenen beklagenswerten Zustand schilderte. Ich habe dies oft an Menschen bemerkt, die sonst ihrem Triebe folgen, in den Tag hinein leben, ohne sich selbst zu prüfen, und erst in dem Moment der Erzählung über sich selbst flüchtig nachdenken. Sie werden dann durch die Sprache selbst

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 376–377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_190.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2020)