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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Schloß und Riegel hielt, wie man sonst in Spanien zu thun pflegt.

Als aber endlich dieses Verhältnis zu den Ohren des Engländers kam, bewirkte dieser, daß der Kapitän von seinem Posten abgerufen und sogar aus dem Dienst entlassen wurde. Doch sagen andere, er selbst habe aus Ärger über seine schnelle Abrufung quittiert. Doch das Beste kommt noch; einige Wochen nach seiner Abreise war die Frau des Engländers mit ihren beiden Kindern plötzlich verschwunden, man kann sagen, spurlos verschwunden, denn so viele Mühe sich ihr Gatte gab, ihrer habhaft zu werden, alles war vergeblich. Vielleicht scheiterten auch seine Bemühungen an den Unruhen, die gerade in jener Zeit ausbrachen und die Kommunikation mit Frankreich sehr erschwerten.

Der Verdacht dieses Engländers fiel, wie natürlich, vor allem auf den Kapitän West. Er wußte es zu machen, daß dieser in Paris angehalten und verhört wurde. Man sagt, er solle sehr betreten gewesen sein, als er die Nachricht von der Flucht dieser Dame hörte; er wies sich aber aus, daß er die Reise bis nach Paris allein gemacht habe, und bekräftigte mit einem Eid, daß er von diesem Schritt der Donna nichts wisse.

Etwa ein Vierteljahr nachher kam er nach Rom und lebt seitdem hier sehr still und eingezogen, besucht keine Gesellschaft, hat keinen Freund, keinen Bekannten, vorzüglich vermeidet er es, mit Deutschen zusammenzutreffen.‘

Um diese Zeit, fuhr der Gesandte fort, sei von seinem Hofe die Anfrage an ihn ergangen, ob dieser West sich in Rom befinde; wie er lebe, und ob er nicht in Verhältnis mit einer Spanierin sei, die sich ebenfalls hier aufhalten müsse. Man habe ihm dabei die Geschichte dieses Kapitän West mitgeteilt und bemerkt, daß der Engländer von neuem Spuren von seiner Frau entdeckt habe, die beinahe mit Gewißheit annehmen lassen, daß sie in Rom sich aufhalte. Man habe deswegen von Spanien aus sich an die päpstliche Kurie gewandt, es scheine aber, man wolle sich hier der Dame annehmen, denn die Antwort sei sehr zweifelhaft und unbefriedigend ausgefallen. Der Gesandte machte die nötigen Schritte und erfuhr wenigstens so viel, daß jener Verdacht bestätigt schien. Er [375] wandte sich nun auch an Consalvi[1], um zu erfahren, ob der römische Hof in der That die Dame in seinen Schutz nehme, und erhielt die in eine sehr bestimmte Bitte gefaßte Antwort, man möchte diese Sachen beruhen lassen, da die Ehe der Donna Ines mit dem Engländer wahrscheinlich für ungültig erklärt werde.

Dies erzählte mir der Gesandte; er sagte noch hinzu, daß er aus besonderem Interesse an diesem Fall dem Kapitän immer nachgespürt habe, und so sei ihm auch der Streit zu Ohren gekommen, den ich im Karneval mit jenem ‚wegen einer Dame‘ gehabt habe.

Sie können sich denken, Freund, welche Qualen ich schon während seiner Erzählung empfand; und als ich das ganze Unglück erfahren hatte, stand ich wie vernichtet. Der Gesandte verließ mich, um zu der Gesellschaft zurückzukehren; ich hatte kaum noch so viel Fassung, ihn zu bitten, er möchte niemand etwas von diesen Verhältnissen wissen lassen, das Warum? versprach ich ihm auf ein andermal.

Ich konnte von dem Zimmer, wohin der Gesandte mich gerufen, den Salon übersehen, ich konnte Luisen sehen, und wie schmerzlich war mir ihr Anblick. Sie schien so ruhig, so glücklich. Der Friede ihrer schönen Seele lag wie der junge Tag freundlich auf ihrer Stirne; ihr sanftes blaues Auge glänzte, vielleicht von der Erwartung einer schönen Abendstunde, und das Lächeln, das ihren Mund umschwebte, schien der Nachklang einer freudigen Erinnerung hervorgelockt zu haben. Nein, es war mir nicht möglich, diesen Anblick länger zu ertragen, ich eilte ins Freie, um dieses Bild durch neue Bilder zu verdrängen; aber wie war es möglich? Der Gedanke an sie kehrte schmerzlicher als je zurück, denn der Friede der Natur, der zauberische Schmelz der Landschaft, die süße Ruhe, die diese Fluren atmeten, erinnerten sie mich nicht immer wieder an jenes holde Wesen? Und die Wolken, die sich am fernen Horizont schwärzlich auftürmten und ein nächtliches Gewitter verkündeten, hingen sie nicht über der friedlichen Landschaft wie das Unglück, das Luisen drohte?


  1. Ercole Consalvi (1757–1824), Kardinal und Staatssekretär Pius’ VII.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 374–375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_189.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)