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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

ein Beben; ich fühlte, wie ich errötete, jene Sicherheit des Benehmens, das mich jahrelang begleitet hatte, wollte mich in diesem Augenblicke verlassen.

Sie kam, sie dünkte mir in dem einfachen, reizenden Negligee lieblicher als je, und ihre Verwirrung, als sie mich sah, der Unmut, den ich in ihrem Auge zu lesen glaubte, vermochte ihre Anmut nicht zu schwächen. ‚Mein Herr! Es ist eine sehr sonderbare Begebenheit, die Sie in dieses Haus führt‘, sprach sie mit jenen klangvollen Tönen, die ich so gerne hörte; ‚Sie müssen selbst gestehen‘, setzte sie hinzu, aber sei es, daß die Erinnerung an jenen Abend sie zu unangenehm berührte, sei es, daß sie einem meiner Blicke begegnete, die vielleicht mehr als Ehrfurcht ausdrückten, sie schlug die Augen nieder, errötete aufs neue und schwieg.

Ich faßte mich, ich suchte mich zu entschuldigen so gut es ging; ich erzählte ihr, wie ich sie hilflos und in Ohnmacht in der Kirche gefunden, wie ich ihren Irrtum nicht habe berichtigen können, aus Furcht, sie möchte meine Begleitung ablehnen, die ihr in ihrem damaligen Zustande so notwendig war. Meine zweite Unbesonnenheit schob ich auf die Maskenfreiheit des Karnevals, ich suchte einen Scherz daraus zu machen, ich behauptete, es sei an diesem Abend erlaubt, jede Maske vorzunehmen, und so habe ich die ihres Freundes vorgenommen. Ich glaubte, sagte ich, in diesen Scherz um so eher eingehen zu dürfen, da wir Landsleute sind und die Deutschen in Rom als Kinder Einer Heimat nur Eine große Familie sein sollten.“

„Eine gefährliche Verwandtschaft!“ erwiderte ich dem jungen Berliner, indem ich mich im stillen über seine jesuitische Logik freute; „Wie? brachte die Dame nicht das Corpus juris und den – – – – gegen Sie in Anwendung? In Schwaben möchte zur Not ein solches Verwandtschaftssystem gelten oder bei den Juden, welche Herren und Knechte, Norden und Süden ‚unsere Leute‘ nennen; aber Deutschland? Bedenken Sie, daß es in zweiunddreißig Staaten geteilt ist, wo ist da ein Verwandtschaftsband möglich? Wenn Sie sich im Himmel oder in der Hölle treffen, so heißen sie nur Österreicher, Preußen, Hechinger und fürstlich reußische Landeskinder!“

[355] „Luise mochte auch so denken“, fuhr er fort. „Doch nötigte ihr meine Deduktion ein Lächeln ab; es schien ihr angenehm, über diese Punkte so leicht weggehen zu können. Sie klagte sich selbst an, diesen Irrtum veranlaßt zu haben, sie vergab, sie erlaubte mir, ihre schöne Hand zu küssen. Doch ihre Blicke wurden wieder düster. Sie sagte, wie sie nur zu deutlich bemerkt habe, daß ich tief beleidigt weggegangen sei, daß dieser Streit noch eine gefährliche Folge haben könne. Ihr Auge füllte sich mit Thränen, als sie dies sagte. Sie beschwor mich, ihrem Freund zu vergeben, sie suchte ihn zu entschuldigen, ihn, der sie selbst so tief beleidigt hatte, sie sprach mit so zärtlicher Wärme für den Mann, der so ganz vergessen hatte, daß die wahre Liebe glauben und vertrauen müsse, der so niedrig war, dieser reinen Seele gegenüber gemeine Eifersucht zu zeigen. Ich wäre glücklich, selig gewesen, hätte dieses Mädchen so von mir gesprochen!

Ich fragte sie, ob sie in seinem Auftrag mir dieses sage? Sie war betreten, sie antwortete, daß sie gewiß wisse, daß es ihm leid sei, mir jene Worte gesagt zu haben; ich versprach, wenn er mir dies selbst sagen werde, nicht mehr an die Sache zu denken. Wie heiter war sie jetzt, sie scherzte über ihren Irrtum, sie verglich meine Züge mit denen ihres Freundes, sie glaubte große Ähnlichkeit zu finden, und doch schien es ihr unbegreiflich, wie sie nicht an meinen Augen, meiner Stimme, an meinem ganzen Wesen ihren Mißgriff erkannt habe. Sie rief ihrer Tante zu, daß sie ihren Zweck vollkommen erreicht habe.

Signora Campoco, die während der ganzen Szene am Fenster gesessen und bald die Leute auf der Straße, bald ihre Hündchen, bald uns betrachtet hatte, kam freundlich zu mir, dankte für meine Gefälligkeit, ihr Haus besucht zu haben, und bemerkte: sie hätte nie geglaubt, daß unsere barbarische Sprache so wohltönend gesprochen werden könne. Sie sehen, ich hatte jetzt nichts mehr in diesem Hause zu thun; so gerne ich noch ein Stündchen mit Fräulein von Palden geplaudert hätte, so neugierig ich war, ihre Verhältnisse in Deutschland und ihre Lage in Rom zu erfahren – der Anstand forderte, daß ich Abschied nahm, mit dem unglücklichen Gefühle Abschied nahm, diese Schwelle nie mehr betreten

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 354–355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_179.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)