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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Verlangen, diesen Menschen einmal aus der Ferne zu beobachten, an meinem Platz im Fenster. Da bemerkten wir denn das Augenspiel zwischen Frau v. Trübenau und dem gewandtesten der Liebhaber, der, indem er der Tochter des Ökonomierats so viel Verbindliches zu sagen wußte, daß sie einmal über das andere bis unter die breiten Brüßler Spitzen ihrer Busenkrause errötete, das feingeformte Füßchen der Frau von Thingen auf seinem blankgewichsten Stiefel tanzen ließ.

„Drei Mücken auf einen Schlag, das heiße ich doch – meiner Seel’, aller Ehre wert“, brummte der zornglühende Professor, dem jetzt auch seine letzte Ressource, die ökonomische Schöne, so was man sagt, vor dem Mund weggeschnappt werden sollte. Mit tönenden Schritten ging er an den Tisch, nahm sich einen Stuhl und setzte sich, breit wie eine Mauer, neben seine Schöne. Doch diese schien nur Ohren für Natas zu haben, denn sie antwortete auf seine Frage, ob sie sich wohl befinde, „übermorgen“, und als er voll Gram die Anmerkung hinwarf, sie scheine sehr zerstreut, meinte sie „1 Fl. 30 Kr. die Elle“.

Ich sah jetzt einem unangenehmen Auftritt entgegen. Der Professor, der nicht daran dachte, daß er durch ein Sonett oder Triolett[1] alles wieder gutmachen, ja durch ein paar ottave rime[2] sich sogar bei der Trübenau wieder insinuieren könnte, widersprach jetzt geradezu jeder Behauptung, die Natas vorbrachte; und ach! nicht zu seinem Vorteil; denn dieser, in der Dialektik dem guten Kathedermann bei weitem überlegen, führte ihn so aufs Eis, daß die leichte Decke seiner Logik zu reißen und er in ein Chaos von Widersprüchen hinabzustürzen drohte.

Eine lieblich duftende Bowle Punsch unterbrach einige Zeit den Streit der Zunge, gab aber dafür Anlaß zu desto feindseligeren Blicken zwischen Frau von Trübenau und Frau von Thingen. Diese hatte, ihrer schönen, runden Arme sich bewußt, den gewaltigen silbernen Löffel ergriffen, um beim Eingießen die ganze Grazie ihrer Haltung zu entwickeln; jene aber kredenzte [205] die gefüllten Becher mit solcher Anmut, mit so liebevollen Blicken, daß das Bestreben, sich gegenseitig soviel als möglich Abbruch zu thun, unverkennbar war.

Als aber der sehr starke Punsch die leisen Schauer des Herbstabends verdrängt hatte, als er anfing, die Wangen unserer Damen höher zu färben und aus den Augen der Männer zu leuchten, da schien es mir mit einem Mal, als sei man, ich weiß nicht wie, aus den Grenzen des Anstands herausgetreten; allerlei dumme Gedanken stiegen in mir auf und nieder, das Gespräch schnurrte und summte wie ein Mühlrad, man lachte und jauchzte und wußte nicht über was? man kicherte und neckte sich, und der Oberforstmeister brachte sogar ein Pfänderspiel mit Küssen in Vorschlag. Plötzlich hörte ich jenes heisere Lachen wieder, das ich vorhin vor dem Fenster zu hören glaubte; wirklich, es war Natas, der dem Professor zuhörte, und trotz dem Eifer und Ernst, mit welchem dieser alles vorbrachte, alle Augenblicke in sein heiseres Gelächter ausbrach.

„Nicht wahr, meine Herren und Damen“, schrie der Punsch aus dem Professor heraus, „Sie haben vorhin selbst bemerkt, daß unser verehrter Freund dort jedem von Ihnen, nur in anderer Gestalt, schon begegnet ist? Sie schweigen? Ist das auch Raison, einen so im Sand sitzen zu lassen? Herr Oberforstmeister! Frau von Thingen, gnädige Frau! sagen Sie selbst; namentlich Sie, Herr Doktor!“

Wir befanden uns durch die Indiskretion des Professors in großer Verlegenheit; „ich erinnere mich“, gab ich zur Antwort, als alles schwieg, „von interessanten Gesichtern und ihren Verwechslungen gesprochen zu haben, und wenn ich nicht irre, wurde auch Herr von Natas aufgeführt.“

Der Benannte verbeugte sich und meinte, es sei gar zu viel Ehre, ihn unter die Interessanten zu zählen; aber der Professor verdarb wieder alles.

„Was da! ich nehme kein Blatt vor den Mund!“ sagte er; „ich behauptete, daß mir ganz unheimlich in Dero Nähe sei, und erzählte, wie Sie in Stuttgart den armen Hasentreffer erwürgt haben? wissen Sie noch, gnädiger Herr?“


  1. Triolett (franz.), Gedicht von 8–12 Zeilen, welche nur zwei Reime haben.
  2. Ottave rime, Stanzen, achtzeiliges Versmaß, dessen 1., 3., 5., ferner 2., 4., 6. sowie 7. u. 8. Zeile je miteinander gereimt sind.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 204–205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_104.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)