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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Beschämt schwangen die Wächter ihre Lanzen wieder auf; ihr Anführer aber ritt an den Fremden heran und fragte nach seinem Begehr. „Wer ist der Herr der Karawane?“ fragte der Reiter. „Sie gehört nicht Einem Herrn“, antwortete der Gefragte, „sondern es sind mehrere Kaufleute, die von Mekka in ihre Heimat ziehen, und die wir durch die Wüste geleiten, weil oft allerlei Gesindel die Reisenden beunruhigt.“ – „So führt mich zu den Kaufleuten“, begehrte der Fremde. „Das kann jetzt nicht geschehen“, antwortete der Führer, „weil wir ohne Aufhalt weiterziehen müssen, und die Kaufleute wenigstens eine Viertelstunde weiter hinten sind; wollt Ihr aber mit mir weiterreiten, bis wir lagern, um Mittagsruhe zu halten, so werde ich Eurem Wunsch willfahren.“ Der Fremde sagte hierauf nichts; er zog eine lange Pfeife, die er am Sattel festgebunden hatte, hervor und fing an, in großen Zügen zu rauchen, indem er neben dem Anführer des Vortrabs weiterritt. Dieser wußte nicht, was er aus dem Fremden machen sollte; er wagte es nicht, ihn geradezu nach seinem Namen zu fragen, und so künstlich er auch ein Gespräch anzuknüpfen suchte, der Fremde hatte auf das: „Ihr raucht da einen guten Tabak“, oder: „Euer Rapp’ hat einen braven Schritt“, immer nur mit einem kurzen „Ja, ja!“ geantwortet. Endlich waren sie auf dem Platz angekommen, wo man Mittagsruhe halten wollte. Der Anführer hatte seine Leute als Wachen ausgestellt; er selbst hielt mit dem Fremden, um die Karawane herankommen zu lassen. Dreißig Kamele, schwer beladen, zogen vorüber, von bewaffneten Anführern geleitet. Nach diesen kamen auf schönen Pferden die fünf Kaufleute, denen die Karawane gehörte. Es waren meistens Männer von vorgerücktem Alter, ernst und gesetzt aussehend; nur einer schien viel jünger als die übrigen, wie auch froher und lebhafter. Eine große Anzahl Kamele und Packpferde schloß den Zug.

Man hatte Zelte aufgeschlagen und die Kamele und Pferde rings umhergestellt. In der Mitte war ein großes Zelt von blauem Seidenzeug. Dorthin führte der Anführer der Wache den Fremden. Als sie durch den Vorhang des Zeltes getreten waren, sahen sie die fünf Kaufleute auf goldgewirkten Polstern sitzen; [71] schwarze Sklaven reichten ihnen Speisen und Getränke. „Wen bringt Ihr uns da?“ rief der junge Kaufmann dem Führer zu. Ehe noch der Führer antworten konnte, sprach der Fremde: „Ich heiße Selim Baruch und bin aus Bagdad; ich wurde auf einer Reise nach Mekka von einer Räuberhorde gefangen und habe mich vor drei Tagen heimlich aus der Gefangenschaft befreit. Der große Prophet ließ mich die Glocken eurer Karawane in weiter Ferne hören, und so kam ich bei euch an. Erlaubet mir, daß ich in eurer Gesellschaft reise! Ihr werdet euren Schutz keinem Unwürdigen schenken, und so ihr nach Bagdad kommet, werde ich eure Güte reichlich lohnen; denn ich bin der Neffe des Großwesirs[1].“ Der älteste der Kaufleute nahm das Wort: „Selim Baruch“, sprach er; „sei willkommen in unserem Schatten! Es macht uns Freude, dir beizustehen; vor allem aber setze dich und iß und trinke mit uns!“

Selim Baruch setzte sich zu den Kaufleuten und aß und trank mit ihnen. Nach dem Essen räumten die Sklaven die Geschirre hinweg und brachten lange Pfeifen und türkischen Sorbet[2]. Die Kaufleute saßen lange schweigend, indem sie die bläulichen Rauchwolken vor sich hinbliesen und zusahen, wie sie sich ringelten und verzogen und endlich in die Luft verschwebten. Der junge Kaufmann brach endlich das Stillschweigen. „So sitzen wir seit drei Tagen“, sprach er, „zu Pferd und am Tisch, ohne uns durch etwas die Zeit zu vertreiben. Ich verspüre gewaltig Langeweile, denn ich bin gewohnt, nach Tisch Tänzer zu sehen oder Gesang und Musik zu hören. Wißt ihr gar nichts, meine Freunde, das uns die Zeit vertreibt?“ Die vier älteren Kaufleute rauchten fort und schienen ernsthaft nachzusinnen; der Fremde aber sprach: „Wenn es mir erlaubt ist, will ich euch einen Vorschlag machen. Ich meine, auf jedem Lagerplatz könnte einer von uns den andern etwas erzählen. Dies könnte uns schon die Zeit vertreiben.“ – „Selim Baruch, du hast wahr gesprochen“, sagte Achmet, der älteste der Kaufleute; „laßt uns den Vorschlag annehmen!“ – „Es


  1. Titel des Ministerpräsidenten im Orient.
  2. Sorbet (arab.), d. h. Trank; morgenländisches Getränk, aus Fruchtsäften und Zucker bereitet.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 70–71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_037.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)