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er glaubte hoffen zu dürfen, daß dieser edle Freund seines Vaters ihm seine gütigen Gesinnungen erhalten haben möchte, daß er ihn zum wenigsten billiger beurteilen werde als Waldburg-Truchseß und so mancher andere, der ihm früher nicht günstig war.

Der Knecht kam zurück; der Gefangene sollte so still als möglich und ohne Aufsehen in das große Zelt geführt werden, wo die Obersten gewöhnlich Kriegsrat hielten. Man schlug zu diesem Gang einen Seitenweg ein, und die Knechte baten Georg, seinen Helm zu schließen, daß man ihn nicht erkenne, ehe er vor den Rat geführt würde. Gerne befolgte er diese Bitte, denn es war ihm in einem solchen Falle nichts unerträglicher, als sich den Blicken neugieriger oder schadenfroher Menschen aussetzen zu müssen. Sie gelangten endlich an das große Zelt. Diener aller Art waren hier versammelt, und die verschiedenen Farben und Binden, mit welchen sie geschmückt waren, ließen auf eine zahlreiche Versammlung edler Herren und Ritter im Innern des Zeltes schließen.

Schon mochte die Nachricht unter sie gekommen sein, daß einige Knechte einen Mann von Bedeutung gefangen haben, denn sie drängten sich nahe herbei, als Georg sich aus dem Sattel schwang, und ihre neugierigen Blicke schienen durch die Öffnungen des Visieres dringen zu wollen, um die Züge des Gefangenen zu schauen. Ein Edelknabe suchte Raum zu machen, und er mußte seine Zuflucht zu dem „Namen der Bundesobersten“ nehmen, um diese dichte Masse zu durchbrechen und dem gefangenen Ritter einen Weg in das Innere des Zeltes zu bahnen. Drei jener Knechte, die ihn begleitet hatten, durften folgen; sie glühten vor Freude und glaubten nicht anders, als jene Goldgülden sogleich in Empfang nehmen zu können, die auf die Person des Herzogs von Württemberg gesetzt waren.

Der letzte Vorhang that sich auf, und Georg trat mutig und festen Schrittes ein und überschaute die Männer, die über sein Schicksal entscheiden sollten. Es waren wohlbekannte Gesichter, die ihn so fragend und durchdringend anschauten. Noch waren die düsteren Blicke und die feindliche Stirne des Truchseß von [421] Waldburg seinem Gedächtnis nicht entfallen, und der spöttische, beinahe höhnische Ausdruck in den Mienen dieses Mannes weissagte ihm nichts Gutes. Sickingen, Alban von Closen, Hutten – sie alle saßen wie damals vor ihm, als er dem Bund auf ewig lebewohl sagte, aber wie vieles hatte sich verändert. Und eine Thräne füllte sein Auge, als es auf jene teure Gestalt, auf jene ehrwürdigen Züge fiel, die sich tief in sein dankbares Herz gegraben hatten. Es war nicht Hohn, nicht Schadenfreude, was man in Georg von Frondsbergs Mienen las, nein, er sah den Nahenden mit jenem Ausdruck von würdigem Ernst, von Wehmut an, womit ein edler Mann den tapferen, aber besiegten Feind begrüßt.

Als Georg diesen Männern gegenüberstand, hub der Truchseß von Waldburg an: „So hat doch endlich der Schwäbische Bund einmal die Ehre, den erlauchten Herzog von Württemberg vor sich zu sehen, freilich war die Einladung zu uns nicht allzu höflich, doch –“

„Ihr irrt Euch!“ rief Georg von Sturmfeder und schlug das Visier seines Helmes auf. Als sähen sie Minervas Schild und sein Medusenhaupt, so bebten die Bundesräte vor dem Anblick der schönen Züge des jungen Ritters. „Ha! Verräter! ehrlose Buben! ihr Hunde!“ rief Truchseß den drei Knechten zu; „was bringt ihr uns diesen Laffen, dessen Anblick meine Galle aufregt, statt des Herzogs? Geschwind, wo ist er? sprecht!“

Die Knechte erbleichten. „Ist’s nicht dieser?“ fragten sie ängstlich. „Er hat doch den grünen Mantel an.“

Der Truchseß zitterte vor Wut und seine Augen sprühten Verderben; er wollte auf die Knechte hinstürzen, er sprach davon, sie zu erwürgen, aber die Ritter hielten ihn zurück, und Hutten, zornbleich, aber gefaßter als jener, fragte: „Wo ist der Doktor Calmus, laßt ihn hereinkommen, er soll Rechenschaft ablegen, er hat den Zug übernommen.“

„Ach, Herr“, sagte einer der Knechte, „der legt Euch keine Rechenschaft mehr ab; er liegt erschlagen auf der Brücke bei Köngen!“

„Erschlagen?“ rief Sickingen, „und der Herzog ist entkommen? Erzählet, ihr Schurken.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 420–421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_233.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)