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mein Bruder Georg hat noch keine Kinder und ich – bin geschlagen, verjagt, sie haben wiederum mein Land besetzt, und wo ist Hoffnung, daß ich es wieder einmal erlange?! – – Wie ich nun so ganz verlassen und elend hier am Feuer saß, wie ich nachdachte über mein kurzes Glück, und wie ich vielleicht mein Unglück selbst verschuldet habe; wie ich bedachte, auf welch schwachen Stützen meine Hoffnung beruhe, und wie selbst der Name Württemberg auslöschen könne, gleich den letzten Funken in der Asche meiner Stammburg, da übermannte mich der Jammer, und bitterer als je fühlte ich die Schläge meines Schicksals. Unter diesen Gedanken entschlief ich. Doch wie im Wachen meine Seele mit Sehnsucht und Trauer auf den Höhen des Rotenberges und um die rauchenden Trümmer von Württemberg schwebte, so erging sich mein Geist auch im Traume dort.“

Ulerich hielt inne; es war, als fülle ein Bild seine Seele, das zu schön, zu groß sei, um es mit sterblichen Lippen zu beschreiben; ein milder Friede lag auf den Zügen des unglücklichsten Fürsten, und ein wunderbarer Glanz drang aus seinen aufwärts gerichteten Augen. Die Männer umher blickten ihn staunend an; sie hingen an seinen Lippen und lauschten auf seine Rede, die ihnen so Wichtiges zu verkünden schien.

„Höret weiter“, fuhr er fort; „ich sah herab auf das schöne Neckarthal. Der Fluß zog wie sonst in schönen, blauen Bogen hin, aber das Thal und die Berge schienen mir lieblicher, glänzender, die Wälder auf den Höhen waren verschwunden, die Wiesen waren nicht mehr, sondern von Berg zu Berg zog sich ein großer Garten voll grüner Reben, und im Thal sah man Obstbäume und schöne blühende Gärten ohne Zahl. Ich stand entzückt und schaute und schaute immer wieder hin, denn die Sonne erschien freundlicher, der Himmel blauer und reiner, das Grün der Reben und Bäume glänzender als jetzt. Und als ich mein trunkenes Auge erhob und hinüberschaute über den Neckar, da gewahrte ich auf einem Hügel am Fluß ein freundliches Schloß, das im Glanz der Morgensonne sich spiegelte; es lag so friedlich da, daß sein Anblick meiner Seele wohlthat, denn keine Gräben und hohe Mauern, keine Türme und Zinnen, kein Fallgatter, [413] keine Zugbrücke erinnerte an den Zwist der Völker und an das unsichere, wechselnde Geschick der Sterblichen.

Und als ich verwundert über den tiefen Frieden des Thales und jenes unbewachten Schlosses mich umsah, waren auch die Mauern meiner Burg verschwunden: doch hier wenigstens log mir der Traum nicht, denn ich sah ja gestern die Zinnen stürzen und den Wartturm sinken, von welchem sonst mein Panier in den Lüften wehte. Kein Stein von Württemberg war mehr zu sehen, aber ein Tempel stand dort mit Säulen und Kuppel, wie man sie in Rom und Griechenland findet. Ich dachte nach, wie dies alles auf einmal so habe kommen können, da gewahrte ich Männer in fremder Kleidung, die nicht weit von mir standen und auf das Land hinabschauten.

Der eine dieser Männer zog vor den übrigen meine Aufmerksamkeit auf sich; er hatte einen schönen Knaben an der Hand, dem er das Thal zu seinen Füßen und die Berge umher und den Fluß und die Städte und Dörfer in der Nähe und Ferne zeigte. Ich betrachtete den Mann, er trug die Züge meines Bruders Georg[Hauff 1], und es war mir, als müsse er zum Stamm meiner Ahnen gehören und ein Württemberg sein; er stieg mit dem Knaben den Berg hinab ins Thal, und die andern Männer folgten ihm in ehrerbietiger Entfernung; den letzten hielt ich auf und fragte ihn, wer jener gewesen sei, der dem Knaben das Land gezeigt habe? ‚Das war der König‘, sagte er und stieg den Berg hinab.“

Der Herzog schwieg und sah die Ritter forschend an, als wollte er ihre Meinung hören; sie schwiegen lange, endlich nahm der Ritter von Lichtenstein das Wort und sprach: „Ich bin fünfundsechzig Jahre alt und habe vieles gesehen und gehört auf Erden, und manches, worüber der menschliche Geist erstaunte und wo ein frommer Sinn den Finger der Gottheit sah. Glaubet mir, auch die Träume kommen von Gott, denn nichts geschieht auf Erden ohne Ursache. Es hat in alten Zeiten Seher und Propheten gegeben, warum sollte nicht auch in unseren Tagen der Herr seiner Heiligen einen herabsenden, daß er einem Unglücklichen im Traume die dunkeln Pforten der Zukunft öffnen und

Anmerkungen (Hauff)

  1. [434] Graf Georg von Württemberg und Mömpelgard, der Bruder Ulerichs, ist der Stammvater des jetzigen Regentenhauses von Württemberg. Sein Sohn war Friedrich VI., reg. Herzog, der das Herzogtum erhielt, weil Ludwig, Christophs Sohn, ohne männliche Deszendenz starb.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 412–413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_229.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)