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Mantel schlecht verbarg; ein kleines, spitziges Hütlein saß auf seinen grauen, schlichten Haaren, tückische Äuglein funkelten unter buschigen, grauen Augenbrauen, und der dünne Bart, der ihm unter der hervorspringenden Adlernase hing, gab ihm das Ansehen eines sehr großen Katers. Eine widerliche Freundlichkeit lag auf seinen eingeschrumpften Zügen, als er vor dem Herzog das Haupt zum Gruß entblößte, und Georg von Sturmfeder faßte einen unerklärlichen Abscheu und ein sonderbares Grauen vor diesem Mann gleich beim ersten Anblick.

Der Herzog sah den kleinen Mann an und rief freudig: „Ha! Ambrosius Volland[1], unser Kanzler! Bist du auch noch am Leben? Hättest zwar früher schon kommen können, denn du wußtest, daß wir wieder ins Land dringen – aber sei uns deswegen dennoch willkommen.“

„Allerdurchlauchtigster Herr!“ antwortete der Kanzler Ambrosius Volland, „bin wieder so hart vom Zipperlein befallen worden, daß ich beinahe nicht aus meiner Behausung kommen konnte; verzeihen daher, Euer –“

„Schon gut, schon gut!“ rief der Herzog lachend, „will dich schon kurieren vom Zipperlein. Komm’ morgen früh ins Schloß, jetzt aber gelüstet uns, Stuttgart wiederzusehen. Heran, mein treuer Bannerträger!“ wandte er sich mit huldreicher Miene zu Georg; „du hast treulich Wort gehalten bis an die Thore von Stuttgart; ich will’s vergelten. Bei Sankt Hubertus, jetzt ist die Braut dein nach Recht und Billigkeit. Trag’ mir meine Fahne vor, wir wollen sie aufpflanzen auf meinem Schloß und jenes bündische Banner in den Staub treten! Gemmingen und Hewen, ihr seid heute nacht noch meine Gäste; wir wollen sehen, ob uns die Herren vom Schwabenbund noch ein Restchen Wein übriggelassen haben!“

So ritt Herzog Ulerich, umgeben von den Rittern, die seinem Zuge gefolgt waren, wieder in die Thore seiner Residenz. Die Bürger schrieen Vivat, und die schönen Mädchen verneigten sich [333] freundlich an den Fenstern zum großen Ärgernis ihrer Mütter und Liebhaber, denn alle dachten, diese Grüße gelten dem schönen jungen Ritter, der des Herzogs Banner trug und beleuchtet vom Fackelschein wie Sankt Georg, der Lindwurmtöter, aussah.





IV.


 „O Burg, von Geistern tapfrer Ahnen,
 Die thatenfreudig hier gelebt,
 Und wackrer Fürsten Ruhm umschwebt,
 O, deren Bild mit frommem Mahnen
 Sich in des Nahen Bilder webt.“
 Ph. Conz.[2]


Das alte Schloß zu Stuttgart hatte damals, als es Georg von Sturmfeder am Morgen nach des Herzogs Einzug beschaute, nicht ganz die Gestalt, wie es noch in unsern Tagen zu sehen ist, denn dieses Gebäude wurde erst von Ulerichs Sohn, Herzog Christoph, aufgeführt. Das Schloß der alten Herzoge von Württemberg stand übrigens an derselben Stelle und war in Plan und Ausführung nicht sehr verschieden von Christophs Werk, nur daß es zum größten Teil aus Holz gebaut war. Es war umgeben von breiten und tiefen Graben, über welche gegen Mitternacht eine Brücke in die Stadt führte. Ein großer, schöner Vorplatz diente in früheren Zeiten dem fröhlichen Hofe Ulerichs zum Tummelplatz für ritterliche Spiele, und mancher Reiter wurde von des Herzogs eigener gewaltiger Hand in den Sand geworfen. Die Zeichen dieses ritterlichen Sinnes sprachen sich auch in andern Teilen des Gebäudes aus. Die Halle im unteren Teil des Schlosses war hoch und gewölbt wie eine Kirche, daß die Ritter in dieser „Tyrnitz“[3] bei Regentagen fechten und Speere werfen und sogar die ungeheuren Lanzen ungehindert darin handhaben


  1. Ambrosius Volland, Dr. jur. (1468–1549), war erst Professor in Tübingen, dann in Wittenberg, Comes palat. caesar. und Kanzler des Herzogs Ulrich von Württemberg.
  2. Zweite Strophe des Gedichtes: „Die Burg“. (Gedichte. Neue Sammlung. 1824.)
  3. Tyrnitz oder Dürnitz (vielleicht aus dem russ. gornitza), d. h. Stube, geheiztes Gemach, Speisezimmer, Badestube, Frauengemach, Dörrstube.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 332–333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_189.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)