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ein Württemberger, und seine schwere Hand ist uns lieber als die gleißenden Worte des Bayern und des Österreichers.“

„Und wenn sie den unglücklichen Fürsten erkennen, wenn sie auf ihn stoßen? Hat er nicht seine Gestalt verhüllt und unkenntlich gemacht? Du hast mir einmal sein Gesicht beschrieben, und ich glaube ihn beinahe vor mir zu sehen, besonders sein gebietendes, glänzendes Auge. Aber wie ist seine Gestalt?“

„Er mag kaum acht Jahre älter sein als Ihr“, entgegnete jener, „er ist nicht so groß als Ihr, aber in vielem Euch ähnlich an Gestalt; besonders wenn Ihr zu Pferde saßet und ich hinter Euch ging, da gemahnte es mich oft und ich dachte: so, gerade so sah der Herzog aus in den Tagen seiner Herrlichkeit.“

Georg war aufgestanden, um nach seinem Pferd zu sehen; die Worte des Bauern hatten ihn um seine Sicherheit besorgt gemacht, und er sah jetzt erst ein, wie thöricht er gehandelt, in diesem Kriegesstrudel sich durch ein okkupiertes Land stehlen zu wollen. Es wäre ihm höchst unangenehm gewesen, in diesem Augenblicke gefangen zu werden; zwar konnte er nach seinem Eide reisen, wohin er wollte, wenn er nur in den nächsten vierzehn Tagen keinen thätlichen Anteil an dem Kampfe gegen den Bund nahm; aber er fühlte, welch nachteiliges Licht es dennoch auf ihn werfen müßte, in dieser Gegend, so weit von dem Weg nach seiner Heimat, aufgegriffen zu werden und dazu noch in Gesellschaft eines Mannes, der den Bundesobersten sehr verdächtig, sogar gefährlich geschienen hatte. Umzukehren war keine Möglichkeit, denn es ließ sich beinahe mit Gewißheit annehmen, daß die Bundestruppen bereits die ganze Breite der Alb eingenommen haben; das sicherste schien, sich zu beeilen, über die äußersten Posten des Heeres hinauszukommen; man hatte dann die Gefahr im Rücken, vor und neben sich aber freie Bahn.

Das sonst so muntere Tier, das seinen Herrn über diese Gefahren hinaustragen sollte, hing die Ohren; die große Eile und die ermüdenden, steinigen Fußpfade hatten seine Kraft geschwächt; zu seinem großen Verdruß bemerkte Georg sogar, daß es auf dem linken Vorderfuß nicht gerne auftrete, was nach einem achtstündigen Weg über scharfe, eckigte Felsen nicht zu verwundern war. [157] Der Bauer bemerkte die Verlegenheit des Junkers; er untersuchte das Tier und riet, es noch einige Stunden stehen zu lassen, gab aber zugleich den Trost, er seie der Gegend so kundig, daß sie eine große Strecke in der Nacht zurücklegen können.





XIV.


 „Es ziehen vom Schwabenbunde
 Die Jäger durchs Gefild’,
 Die spüren in die Runde
 Nach einem Fürstenwild.“
 G. Schwab.[1]


Der junge Mann ergab sich in sein Schicksal und suchte Zerstreuung in der lieblichen Aussicht, die sich noch bei weitem herrlicher seinen Augen öffnete, als ihn der Bauer etwa fünfzig Schritte höher geführt hatte. Sie standen auf einer Felsenecke, die einen schönen Ausläufer der Schwäbischen Alb begrenzte. Ein ungeheures Panorama breitete sich vor den erstaunten Blicken Georgs aus, so überraschend, von so lieblichem Schmelz der Farben, von so erhabener Schönheit, daß seine Blicke eine geraume Zeit wie entzückt an ihnen hingen. Und wirklich, wer je mit reinem Sinn für Schönheiten der Natur, ohne himmelhohe Alpen, ohne Thäler, wie das Rheingau, zu suchen, die Schwäbische Alb bestiegen hat, dem wird die Erinnerung eines solchen Anblickes unter die lieblichsten der Erde gehören.

Man denke sich eine Kette von Gebirgen, die von der weitesten Entfernung, dem Auge kaum erreichbar, durch alle Farben einer herrlichen Beleuchtung von sanftem Grau, durch alle Nüancen von Blau, am Horizont sich herzieht, bis das dunkle Grün der näher liegenden Berge mit seinem sanften Schmelz die Kette schließt. Auf diesen Gipfeln eines langen Gebirgsrückens erkennt das Auge Schlösser und Burgen ohne Zahl, die wie Wächter auf diese Höhen sich lagern und über das Land hinschauen.


  1. Schluß der 3. Strophe der 4. Romanze „Aus dem Jugendleben des Herzogs Christoph von Wirtemberg“.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 156–157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_101.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)