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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

mit Glasfenstern, herrliche Pferde mit schönem Geschirr, der Kutscher in voller Livree, ein Bedienter hinten droben! Vor dem Konsistorium schreit der Kutscher: ‚Brrr!‘ Die Pferde stehen, der Bediente fliegt heran, öffnet feierlich die Glasthüre, schlägt die reichgestickten Tritte auseinander, ein Paar seidene Strümpfe werden sichtbar, ein Arm mit einem prächtigen Patenthut kommt heraus – wer mag es wohl sein? – – – der Magister Hauff!! ‚Heißt das geistliche Armut‘, höre ich die Herren sagen, ‚heißt das christliche Demut?‘“

Die Ferien seiner Zöglinge, die er meist mit diesen am unteren Neckar auf den Gütern des Vaters der Frau von Hügel zubrachte, wird er jedenfalls ganz besonders für seine schriftstellerischen Arbeiten benutzt haben. In diesen Tagen aber wird sich ihm auch recht häufig Gelegenheit geboten haben, auf Spaziergängen oder bei schlechtem Wetter im Zimmer seinen Schülern jene Märchen zu erzählen, die auch der zuweilen anwesenden Frau Baronin so wohl gefielen, daß sie ihn zur Aufzeichnung derselben bewog. Meist waren es ja wohl Erinnerungen und glückliche, mit eigenen Phantasien durchwobene Widerspiegelungen jener Bilder, die er einst in der Zeit seines jugendlichen Leseeifers in sich aufgenommen hatte. So entstand in kurzem sein „Märchenalmanach für das Jahr 1826“; inzwischen aber hatte er bereits ohne Nennung seines Namens den ersten Teil der Satans-Memoiren und den „Mann im Monde“[1] veröffentlicht, durch welche Werke er sich nach Bekanntwerden seines Namens bald allgemeine Achtung und Anerkennung sowohl in der Schriftstellerwelt wie beim Publikum erwarb. Mit gleichem Beifall wurde bald darauf auch sein „Lichtenstein“ aufgenommen, den er noch während seines Aufenthaltes im Hügelschen Hause vollendete. Am 30. April 1826 verließ er diese Stellung, wohl jetzt schon mit der Absicht, sich ganz dem schriftstellerischen Berufe zu widmen und auf diesen in nicht mehr ferner Zeit seine Häuslichkeit zu gründen, nach der er sich mit seinem treuen, liebenden Herzen innig sehnte.

Den schnell erworbenen, reichen Ertrag seiner ersten schriftstellerischen Arbeiten benutzte er nun in würdiger Weise zur Erweiterung seines Anschauungskreises, zur Erwerbung neuer Welt- und Menschenkenntnis. Anfang Mai 1826 trat er die geplante Reise an. Zuerst ging’s noch einmal nach Nördlingen zu einem Besuche bei der Braut; dann ging die Reise über Frankfurt, Mainz, Saarlouis, Metz nach Paris, wo er gegen Ende Mai eintraf und bei Madame J. Floret abstieg, [11] der er später in seiner heiteren Skizze „Ein paar Reisestunden“ ein pietätvolles Andenken bewahrt hat. Das vielgestaltige Pariser Leben mußte natürlich seinem empfänglichen Geiste viel Neues und Interessantes bieten, und er wird auch wohl keine Gelegenheit verfehlt haben, es gründlich kennen zu lernen, bis auch ihm endlich, wie jedem, der längere Zeit hintereinander tagtäglich neue Bilder, neue Sehenswürdigkeiten und Ereignisse in sich aufnehmen soll, das Allzuviele zum Überdrusse wurde. „Diese Herrlichkeiten“, schreibt er einmal in der Zeit vom 20. bis 26. Juni 1826 an seinen Freund, den Referendar Moritz Pfaff in Ellwangen, „fangen an, nachdem ich sie fünf Wochen genossen, zu langweilen.“ Doch wissen wir, daß er nicht allein der Freude hier lebte, sondern daß ihn auch hier fortwährend Arbeiten und neue Stoffe beschäftigten. „Jeden Vormittag wird bis 11 Uhr geschrieben“, berichtet er selbst, und wir haben ja auch die Beweise seiner Thätigkeit auf der Reise noch vor uns. So wissen wir, daß die Kontroverspredigt, wenn auch immer nur stückweise, so doch vollständig während dieser Zeit geschrieben wurde. „Ich fing sie in Paris an, setzte sie in Brüssel fort, schrieb daran in Antwerpen und Gent und vollendete sie in Kassel“, schreibt er seinem Bruder darüber. Ein glänzender Beweis seines glücklichen Auffassungs- und Darstellungsvermögens ist auch ein Bericht, den er über das Auftreten der deutschen Sängerin Henriette Sontag (1806–54) in der Italienischen Oper zu Paris verfaßte und sofort an Th. Hell (Winkler), der ihn schon 1825 zur Mitarbeiterschaft an der „Abendzeitung“ aufgefordert hatte, abschickte. Am 15. Juni erst war Henriette Sontag zum ersten Male in der Pariser Italienischen Oper aufgetreten, und schon am folgenden Tage hat Hauff seinen Bericht vollständig bis zu Ende niedergeschrieben, der bereits am 26. und 27. Juni in dem genannten Blatte erschien.

Bis Mitte Juli 1826 verweilte Hauff noch in Paris, dann setzte er die Reise fort und zwar über Brüssel, Antwerpen, Gent, Kassel und Göttingen nach den Hansestädten Bremen und Hamburg, von denen besonders erstere durch die „Phantasien im Bremer Ratskeller“ zu einem Merkpunkte für jeden Freund der Hauffschen Muse geworden ist. Von Hamburg aus begab er sich nach Berlin; hier langte er Mitte September an und hielt sich hier fünf Wochen lang auf, gesucht und gefeiert, der jugendliche Held, von den berühmtesten Männern der Zeit eingeführt in die besten Kreise der Schriftsteller- und Künstlerwelt und von seinen Gleichgesinnten gepriesen als der Mann, welcher Claurens Herrschaft gebrochen hätte. Er selbst schreibt von Berlin aus über seinen dortigen Aufenthalt: „Ich wurde glänzend, fast wie im Triumph aufgenommen.


  1. Vgl. über all dies unsere Einleitungen zu den betreffenden Werken.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 10–11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_012.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)