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und in den Seiten der Geschichte unauslöschlich eingegraben ist? Hätte er mich dann zu lieben vermocht?« … Längst ja kennt sie die unerbittliche Antwort: »Nein, auch dann nicht!« Aber sie kann sich noch immer nicht damit abfinden, will es nicht fassen, daß auf ihm selbst dunkeln Schicksals Fluch ruht, durch den er unheimlichen Mächten verfallen. Immer wieder seufzt es sehnsuchtsvoll in ihr: »Ach warum, warum war es mir nicht gegeben, ihn zu erlösen!«

Doch während sie Unabänderlichem also nachsinnend, in erbarmender Liebe fremde Schuld mit eigenem Mangel demütig zu erklären trachtet, kommt ihr plötzlich die Nähe des Jünglings, den sie ganz vergessen hatte, zum Bewußtsein. Aufschauend gewahrt sie im Spiegel sein Antlitz neben dem ihren. Seine dreiste Schönheit – ihre welken, von langem Gram durchwühlten Züge. Sie fühlt, wie sein frech glänzender Blick geringschätzig ihren halb erloschenen Augen begegnet. Ein scharfer Schmerz durchzuckt sie dabei und zugleich brennende Scham. Hat der Knabe bei dem so ungleichen Doppelbild im Spiegel ähnlich vergleichende Gedanken gehabt wie sie selbst? … Mit lässiger Selbstgefälligkeit dehnt er jetzt die knabenweichen Glieder, und ihr ist, als trüge er dabei den ihr wohlbekannten, höhnenden Ausdruck eines siegesbewußten Feindes – ja, ganz denselben Ausdruck, den die Gemarterte

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Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/162&oldid=- (Version vom 31.7.2018)