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der Held einer chinesischen Sage, die mir immer recht traurig und eigentlich unbegreiflich erschienen ist. Nach ihr soll dieser Tempel wahrscheinlich seinen Namen ›zu den späten Glückseligkeiten‹ erhalten haben. Der Krieger, so ward mir erzählt, zog aus und kämpfte sein ganzes Lebenlang, um das Glück zu gewinnen, aber er konnte es nie finden. Da endlich, nach langer, langer Zeit kam es zu ihm geflogen in Gestalt einer Fledermaus, die ja das chinesische Glückssymbol ist. Aber allzu grausame Wunden trug er vom Leben – zu spät war das Glück gekommen! – Darob geriet der Krieger in so große Wut, daß er ein letztes Mal sein Schwert zog und die Fledermaus tötete. – – Nicht wahr, das klingt doch recht unverständlich?«

»Das finde ich nicht,« antwortete die Fremde mit seltsam gequältem Ausdruck, »denn es kann doch geschehen, daß das Glück wirklich zu spät kommt.«

»Aber auch kurzes Glück ist doch nicht zu spätes«, entgegnete die Verwitwete. »Mir will scheinen, wann immer es zu uns käme, ob wir es am Morgen des Lebens in der Heimat fänden, ob es uns abends in der Fremde begegnete, und wenn wir es auch nur eine einzige kurze Stunde besitzen könnten – immer doch würden wir ihm in Dankbarkeit die Hände entgegenstrecken und es willkommen heißen.«

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Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/123&oldid=- (Version vom 31.7.2018)