Stimme die der Versuchung. Sie sah in eine Welt des Verrats und Genusses, und alles um sie her schien zu wanken; wenn ein König von seinem Platze weichen wollte, wo war da noch auf Halt zu hoffen? Sie tastete ins Leere und fand, was ihr seit Jahren als Stütze gedient: Pflichten, heilige Aufgaben. - Worte das, die oft schon geheimste, ehrgeizige Wünsche gedeckt haben! Doch das wußte sie nicht, glaubte wirklich, daß dies ein Augenblick sei, ihr gesandt, den eigenen Wert daran zu beweisen. Da ward sie hart und kalt, wie es ihre Art war zu scheinen, wo sie brennend heiß wünschte, und auf all sein Flehen antwortete sie nur eisig: »Helfen will ich dir auf die einzige meiner würdige Weise, indem ich weiter hier ausharre, wohin Gottes Gnade mich berief. Du aber zieh hinauf zur Hochebene und stell dich den Rebellen entgegen, denn wo eines Königs Federbusch voranweht, folgen ihm immer noch Tausende. - Und nimmermehr laß mich Worte hören, als hätten wir ein Amt, das sich niederlegen läßt: von Thronen steigt man nicht herab - man stirbt auf ihnen.«
Den König fröstelte, als wehe ihm Schneeluft entgegen, und wie so oft schon dünkte ihn die Königin kein lebendes Wesen, sondern eine Gestalt aus kaltem Stein. Er aber war so müde und sehnte sich nach sanften, tröstenden Worten. - Langsam stieg da vor seinen Augen,
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/096&oldid=- (Version vom 31.7.2018)