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Zusammenkünften vertrieben sich die Hausfrau und ihre Gäste die Zeit weder mit Kartenspiel, noch mit Tänzen, sondern mit allerlei Künsten. Der Schauspieler rezitierte, der Sänger sang, die Maler zeichneten in Olga Iwanownas Albums, von denen sie eine Menge besaß, der Cellist spielte, und die Hausfrau selbst zeichnete, modellierte, sang, oder begleitete. In den Pausen zwischen Rezitation, Musik und Gesang sprachen sie über Literatur, Theater und Malerei. Damen waren niemals dabei, weil Olga Iwanowna alle Damen außer den Schauspielerinnen und ihrer Schneiderin für langweilig und banal hielt. Bei jedem Gesellschaftsabend fuhr die Hausfrau bei jedem Läuten an der Tür zusammen und verkündete mit siegreicher Miene: „Das ist er!“ wobei sie unter „er“ eine neu eingeladene Berühmtheit verstand. Dymow war niemals anwesend, und niemand dachte an seine Existenz. Doch Punkt halb zwölf ging die Eßzimmertüre auf, an der Schwelle erschien Dymow und sagte mit seinem gutmütigen, sanften Lächeln, sich die Hände reibend:

„Meine Herren, ich bitte zum Essen.“

Alle begaben sich ins Eßzimmer und sahen jedesmal dasselbe Bild: eine Platte mit Austern, ein Stück Schinken oder Kalbfleisch, Sardinen, Käse, Kaviar, eingemachte Pilze, Schnaps und zwei Karaffen Wein.

„Mein lieber Maitre d’Hôtel!“ sagte Olga Iwanowna, vor Entzücken die Hände zusammenschlagend. „Du bist einfach reizend! Meine Herren, schaut euch nur seine Stirne an! Dymow, zeig’ mal dein Profil. Meine Herren, schaut nur: das Gesicht eines bengalischen Tigers, und der Ausdruck ist dabei so gut und sanft wie bei einem Hirsch. Du, Liebster!“

Die Gäste aßen, betrachteten Dymows Gesicht und dachten sich dabei: „Er ist in der Tat ein netter Kerl.“ Doch bald

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Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/140&oldid=- (Version vom 31.7.2018)