Seite:De Von Frauen und Kindern (Tschechow).djvu/138

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Resten von Spitzen, Plüsch und Seide ein wahres Wunder, etwas Bezauberndes, ein Gedicht. Von der Schneiderin begab sich Olga Iwanowna gewöhnlich zu irgendeiner Schauspielerin, die sie kannte, um die letzten Theaterneuigkeiten zu erfahren und sich bei dieser Gelegenheit auch wegen einer Karte zu einer Première oder zu einem Benefiz zu bemühen. Von der Schauspielerin eilte sie in das Atelier eines Malers oder in eine Kunstausstellung und dann zu irgendeiner Berühmtheit, um sie zu sich einzuladen, oder um einen Besuch zu erwidern, oder um einfach etwas zu schwatzen. Ueberall empfing man sie liebenswürdig und mit Freuden und versicherte ihr, daß sie eine nette, liebe, ungewöhnliche Person sei. Diejenigen, die sie für berühmt und bedeutend hielt, nahmen sie wie ihresgleichen auf und prophezeiten ihr einstimmig, daß aus ihr, bei ihrem Talent, Geschmack und Geist, wenn sie sich nur auf etwas Bestimmtes konzentrieren wollte, etwas Bedeutendes werden würde. Sie sang, spielte Klavier, malte, modellierte, beteiligte sich an Liebhabervorstellungen und machte das alles nicht irgendwie, sondern mit ausgesprochenem Talent; ob sie Lampions anfertigte, ob sie sich zu einem Maskenfeste kostümierte, ob sie jemand die Krawatte band, – alles geriet bei ihr ungewöhnlich künstlerisch, graziös und hübsch. Aber in keiner Beziehung äußerte sich ihre Begabung so stark wie in der Fähigkeit, berühmte Menschen auffallend schnell und intim kennen zu lernen. Kaum ließ jemand auch nur ein wenig von sich reden, als sie sofort seine Bekanntschaft machte und ihn zu sich einlud. Jede neue Bekanntschaft war für sie ein wahres Fest. Sie vergötterte die berühmten Menschen, war stolz auf sie und sah sie jede Nacht im Traum. Sie lechzte förmlich nach ihnen und konnte diesen Durst unmöglich stillen. Die alten traten zurück und wurden vergessen, an ihre Stelle

Empfohlene Zitierweise:
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/138&oldid=- (Version vom 31.7.2018)