gestellt hatte, sprach er seine Ansichten über die Familie, über die Untreue aus… sprach träge und matt einige zehn Minuten und legte sich dann wieder hin. Seine Sentenzen hatten keinen Erfolg. Es gibt in der Welt viele Ansichten, und die Hälfte von ihnen gehört Leuten, die selbst nie eine Gefahr überstanden haben!
Trotz der vorgerückten Stunde sah man draußen immer noch Leute gehen. Frau Lubjanzew nahm einen leichten Umwurf, wartete und bedachte sich noch eine Zeitlang… Sie war noch entschlossen genug, dem schlafenden Manne zuzurufen:
„Du schläfst? Ich gehe etwas an die Luft. Kommst du mit?“
Das war ihre letzte Hoffnung. Als sie keine Antwort erhielt, ging sie hinaus. Es war windig und kühl. Sie empfand weder den Wind, noch die Dunkelheit und ging immerzu. Eine unüberwindliche Gewalt trieb sie vorwärts, und es schien fast, wenn sie stehen geblieben wäre, hätte sie einen Stoß in den Rücken erhalten…
„Unmoralisch!“ murmelte sie mechanisch. „Gemein!“
Sie erstickte, verging vor Scham, fühlte nicht, wie sie vorwärts kam, aber das, was sie vorwärts trieb, war stärker als ihre Scham, als der Verstand, als die Furcht…
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/119&oldid=- (Version vom 31.7.2018)