nahm die Bilder, Personen und Situationen aufs Geratewohl, und die Handlung und die Moral ergaben sich irgendwie ganz von selbst, ganz ohne Zutun des Erzählers. Sserjoscha liebte solche Improvisationen, und der Staatsanwalt merkte, daß je anspruchsloser und einfacher die Handlung war, sie auf den Jungen einen um so stärkeren Eindruck machte.
„Also hör’ zu,“ begann er, die Augen zur Decke hebend. „In einem gewissen Königreiche lebte einmal ein alter, uralter König mit einem langen grauen Bart und… einem so langen Schnurrbart. Er lebte also in einem gläsernen Schlosse, das in der Sonne wie ein großes Stück Eis glänzte und funkelte. Das Schloß aber, mein Lieber, stand in einem riesengroßen Garten, und im Garten wuchsen, weißt du, Apfelsinen, Bergamottbirnen… Kirschen… blühten Tulpen, Rosen, Maiglöckchen und sangen bunte Vögel… Ja… An den Bäumen hingen gläserne Glöckchen, die im Winde so wunderbar tönten, daß es eine Wonne war, zuzuhören… Glas klingt nämlich viel sanfter und zarter als Metall… Nun, und was gab’s da noch? Im Garten sprangen Fontänen… Weißt du noch, du hast auf dem Lande bei Tante Ssonja eine Fontäne gesehen? Also solche Fontänen sprangen im Garten des Königs, aber sie waren noch viel größer, und die Wasserstrahlen reichten bis zu den Wipfeln der höchsten Pappeln hinauf.“
Jewgenij Petrowitsch dachte eine Weile nach und fuhr fort:
„Der alte König hatte einen einzigen Sohn und Thronerben, einen ebenso kleinen Jungen wie du. Er war niemals unartig, ging immer früh zu Bett, rührte nichts auf dem Tische an und… und war überhaupt ein kluger Junge. Er hatte aber einen Fehler: – er rauchte…“
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/074&oldid=- (Version vom 31.7.2018)