Einen Tag vor dem Christabend studierte Tschetschewizyn den ganzen Tag die Karte von Asien und schrieb sich etwas auf; Wolodja aber ging matt und mit aufgeschwollenem Gesicht, wie von einer Biene gestochen, von Zimmer zu Zimmer, blickte finster drein und wollte nichts essen. Einmal blieb er im Kinderzimmer vor dem Heiligenbilde stehen, bekreuzigte sich und sagte:
„Herr, vergib mir die Sünde! Herr, beschütze meine arme, unglückliche Mama!“
Gegen Abend fing er zu weinen an. Vor dem Schlafengehen umarmte er den Vater, die Mutter und die Schwestern ungewöhnlich lange. Katja und Ssonja wußten gut, warum er so war, aber die Jüngste, Mascha, verstand gar nichts, absolut nichts; nur als sie den Tschetschewizyn ansah, wurde sie nachdenklich und sagte aufseufzend:
„An Fasttagen, sagt die Kinderfrau, muß man Erbsen und Linsen essen.“
Am nächsten Morgen standen Katja und Ssonja früh auf und schlichen leise zur Tür, um zu sehen, wie die Jungens nach Amerika durchbrennen.
„Du fährst also nicht mit?“ fragte Tschetschewizyn böse: „Sag: du fährst nicht mit?“
„Mein Gott!“ wimmerte Wolodja leise. „Wie soll ich fahren? Die Mama tut mir leid.“
„Bruder Blaßgesicht, ich bitte dich, komm mit! Du hast doch selbst beteuert, daß du hingehst, hast mich überredet, und jetzt, wo man aufbrechen muß, hast du plötzlich Angst bekommen.“
„Ich… ich hab’ keine Angst… mir tut nur die Mama leid.“
„Sag: kommst du mit oder nicht?“
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. München: Musarion, 1920, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/015&oldid=- (Version vom 31.7.2018)