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Gelegentlich erfolgen die Aufschlüsse, die man durch die Procedur des Drückens erhält, in sehr merkwürdiger Form und unter Umständen, welche die Annahme einer unbewussten Intelligenz noch verlockender erscheinen lassen. So erinnere ich mich einer an Zwangsvorstellungen und Phobien seit vielen Jahren leidenden Dame, die mich in Betreff der Entstehung ihres Leidens auf ihre Kinderjahre verwies, aber auch gar nichts zu nennen wusste, was dafür zu beschuldigen gewesen wäre. Sie war aufrichtig und intelligent und leistete nur einen bemerkenswerth geringen, bewussten Widerstand. (Ich schalte hier ein, dass der psychische Mechanismus der Zwangsvorstellungen mit dem der hysterischen Symptome sehr viel innere Verwandtschaft hat, und dass die Technik der Analyse für Beide die nämliche ist.)

Als ich diese Dame fragte, ob sie unter dem Drucke meiner Hand etwas gesehen oder eine Erinnerung bekommen habe, antwortete sie: Keines von Beiden aber mir ist plötzlich ein Wort eingefallen. – Ein einziges Wort? – Ja, aber es klingt zu dumm. – Sagen Sie es immerhin. – „Hausmeister.“ – Weiter nichts? – Nein. – Ich drückte zum zweiten Mal, und nun kam wieder ein vereinzeltes Wort, das ihr durch den Sinn schoss; „Hemd.“ – Ich merkte nun, dass hier eine neuartige Weise Antwort zu geben vorliege, und beförderte durch wiederholten Druck eine anscheinend sinnlose Reihe von Worten heraus: Hausmeister – Hemd – Bett – Stadt – Leiterwagen. Was soll das heissen, fragte ich? Sie sann einen Moment nach, dann fiel ihr ein: Das kann nur die eine Geschichte sein, die mir jetzt in den Sinn kommt. Wie ich 10 Jahre alt war und meine nächstältere Schwester 12, da bekam sie einmal in der Nacht einen Tobsuchtsanfall und musste gebunden und auf einem Leiterwagen in die Stadt geführt werden. Ich weiss es genau, dass es der Hausmeister war, der sie überwältigte und dann auch in die Anstalt begleitete. – Wir setzten nun diese Art der Forschung fort und bekamen von unserem Orakel andere Wortreihen zu hören, die wir zwar nicht sämmtlich deuten konnten, die sich aber doch zur Fortsetzung dieser Geschichte und zur Anknüpfung einer zweiten verwerthen liessen. Auch die Bedeutung dieser Reminiscenz ergab sich bald. Die Erkrankung der Schwester hatte auf sie darum so tiefen Eindruck gemacht, weil die Beiden ein Geheimniss mit einander theilten; sie schliefen in einem Zimmer und hatten in einer bestimmten Nacht Beide die sexuellen Angriffe einer gewissen männlichen Person über sich ergehen lassen.

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_241.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)