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Arbeit in den Händen; denn bei der letzten Firmelung hatte der Bischof dem Reliquienschrank der Kirche zu Haderslev eine Anzahl Schädelknochen der zehntausend Jungfrauen zum Geschenk gemacht, und die Alte wie die Junge waren jetzt damit beschäftigt, sie mit rothem und weißem Sammet und mit Goldstickereien zu überziehen.

Es war ganz still im Gemach; nur das Sticheln der Nadeln wurde hörbar und das eintönige Geräusch eines Dompfaffen, der in seinem Bauer innerhalb des Fensters unaufhaltsam auf- und niederhüpfte. Das junge Kind führte heute ihre Nadel nicht mit gewohnter Sicherheit, und die Blättchen hingen oft nicht richtig an den goldenen Ranken; sie schaute nach jedem zehnten Stiche hastig durch das Fenster, das nach Osten lag; aber der Mond war noch nicht da. Ihr Athem wurde kürzer; in ihrem Inneren war heute eine fremde Kraft, die ihr die Nadel aus der Richte stieß.

Endlich legte die Alte ihr besticktes Schädelstücklein auf den Tisch. „Fertig!“ sagte sie. „Guck her, Dagmar! Ob wohl dieser Kopf im Leben solchen Schmuck getragen hat?“

Das Kind hatte nicht gehört: der Mond war eben über den Bäumen aufgegangen.

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Theodor Storm: Ein Fest auf Haderslevhuus. Berlin: Paetel, 1886, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Storm_Ein_Fest_auf_Haderslevhuus_155.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)