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im Traum geschehen, wie schrecklich sein Erwachen gewesen sei.

Dann frug das Kind wohl zitternd: „War denn Mutter bei Dir in der Nacht?“

„Nein, Christine; es war ja nur ein Traum.“

Und das Kind frug weiter: „War denn Mutter so schön?“

Dann drückte er sie heftig an sich: „Für mich das Schönste auf der Erde! Weißt Du das nicht mehr? Du warst schon drei Jahre alt, als sie starb!“ Als er das letzte Wort gesprochen hatte, stockte ihm die Rede plötzlich; ein Frösteln rann durch seine Glieder. Konnte er so einfach von ihrem Sterben sprechen? Er wollte sein liebes Kind doch nicht betrügen. – Die Kleine aber, die eine Weile geschwiegen hatte, sagte jetzt traurig: „Mein Vater, ich weiß gar nicht mehr, wie Mutter aussah!“

„Wir hatten nimmer Geld zu einem Bilde; wir dachten noch nicht an den Tod!“ antwortete John, und seine Stimme bebte; „aber er ist immer bei uns; streck nur den Finger aus, so kommt er schon!“

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Theodor Storm: Ein Doppelgänger. Berlin: Paetel, 1887, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Storm_Ein_Doppelgaenger_093.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)