Auf weichen Himmelsarmen schwebten wir in reinere Gefilde. Mit verklärten Leibern –
Nun weiss ich, was der Tod ist: ein Blick ins Jenseits, und wir müssen daran sterben.
Im Theater wars und dann –
Man spielte Tristan und Isolde.
Diese Grösse! Wir sind entzückt. Sind das nicht unsere Stimmen? Wahrhaftig, unsere eigenen Stimmen schlagen uns ans Ohr. Gerade so haben wir uns auch gefunden. Alles stimmt, jeder Blick, jedes Erbeben, jeder Aufschrei – das Lautwerden unserer Herzen, das also ist Musik?
Wir sind’s! Wir erkennen uns! Es ist wie eine Vision, ein Sichselbstinsaugeblicken – welch ein Schauspiel! Unsere Liebe! Wir sehen sie, leibhaftig, eine Welt, die uns durchströmt und doch eine andere –
Dieses Leben in Tönen! Diese Töne als Inbegriff alles Lebens!
So liebe ich dich also? So lieben wir uns also? Welch ein Kunstwerk! Schau, schau, unsere Geschichte! Die Partitur unserer unbegreiflichsten Seelengeschichte! Wir sind ganz erschüttert. So tötlich lieben wir uns also? Das kann man ja ruhigen Blutes gar nicht mit ansehen.
Und nun geschieht etwas, mir ewig unbegreiflich. Wir sitzen nicht mehr im Zuschauerraum. Auf der Bühne sind wir. In König Markes Garten. Wir liegen uns in den Armen und unsere Seelen singen. Wer kann denn das bei sich behalten? O Gott im Himmel, wir vergehn! Vor allen Leuten. In uns ist kein Leben mehr, nur Liebe, Liebe. Ein Glück, so mystisch wie der Tod und unergründlich –
Wie wird das noch enden?
Ein Verbluten in Wonne! Es giebt kein anderes Ende. So muss es kommen. Das hat der Meister gewusst.
Du stirbst für mich. Sieh selbst! Stirb nur, stirb! Ich jubele dir zu und sterbe mit dir. Wir sind frei! Selige Geister, das sind wir. Tristan du und ich Isolde. Es ist kein blosser Name, nein, Inhalt und Inbegriff zugleich.
Und wie wir von dannen gehn, wir halten uns fest umschlungen. Wir haben unsere Liebe gesehn, mag nun die ganze Welt sie sehn! Wir brauchen uns nicht zu kümmern. Wir sind ja gestorben – welch ein Leben!
Die Erde zittert vor Freude, uns zu tragen. Scheint nicht die Sonne? Die hellste Sonne bei tief dunkler Nacht? Unseres Lebens sonnigste Nacht!
Wir sind allein draussen im Feld. Ein Strahlengeglitzer über Gras und Strauch. Und Purpurwolken. Alles ist voll Mysterien und Heiligkeit –
Und unter Schauern flehst du mich an: „O hab’ mich immer lieb, immer und ewig!“
Der Moment entflieht vor diesem Wort. Das Blut entweicht aus unseren Adern –
Himmel senken sich herab. Himmel nehmen uns auf. Tausend Himmel hüllen uns ein. Ein Chaos von Himmeln –
Geliebter, wo bist du? Wie aus einer andern Welt höre ich dich rufen:
„Ewig, ewig!“
Juliane Déry: Selige Liebe. Fischer Verlag, Berlin 1896, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Selige_Liebe_(D%C3%A9ry).djvu/008&oldid=- (Version vom 31.7.2018)