Wir aber schiffen hinaus in den Sonnenschein. Das Boot versinkt schier in den Sonnenfluten und wir mit ihm. –
Im Schilfe schnattern die Enten.
Ein Meer von Freiheit umflutet uns. Jenseits winken holde Ufer. Goldene Brücken führen hin. Überall lockt es, alles verführt, die strahlende Luft und die süssen Düfte!
Die Leute heuen. Sie schwitzen und glauben es sei ein Tag wie ein anderer.
Nur wir schreiten verklärt dahin und lachen heraus. Weil wir uns lieben. Sonst ist ja weiter nichts passirt, nur dass wir uns einfach furchtbar lieben wie die Vögel im Walde, die Engel im Himmel, mit allumfassender, nichtsausschliessender Liebe, wie Menschen, Thiere, Götter lieben. Darum lachen wir.
Wir überjauchzen alle Traurigkeiten dieser Welt.
Im Walde fallen die Blätter. Fusshoch liegt das rote, tote Laub. Dort haben wir uns ein Lager gemacht.
Die Bäume halten stumme Monologe und sind traurig wie alternde Menschen. O Herbstesnot! Die gelben Sonnenflecke zittern wie vor Angst. Wehende Blätter flattern umher, fliegen zurück, haften an uns und wollen nicht zur Erde. Wie die armen Bäume glühn im verscheidenden Tag! Auflösung liegt über dem Wald wie Abendröte.
Wir heben das Haupt und sehn in die Wipfel. Die Blätter lösen sich voll Hast und Schmerz und fallen und fallen – uns ein Goldregen von Seligkeit.
Da schrecken wir auf. Der Mond erscheint hinter den kahlen Bäumen. Er regt sich nicht und blickt uns an, gelb und gross, ein Riesenmond, brennend, drohend. Sprachlos stehn wir Hand in Hand, ganz starr über die Begegnung, während er langsam über die Gipfel rollt.
Der dumme Mond! Was gehts ihn an?
Wir kommen nicht aus dem Glück heraus, wir kommen immer mehr hinein. Was wir auch empfinden mögen, das Ende ist Freude.
Die Irrlichter im Nebel, die uns schrecken wollten, siehst du sie noch?
Weiss überschwemmt liegt die weite Wiese, im Dunst zerstreut schweben die Baumwipfel gleich dunklen Charakterköpfen, umwittert von wolkiger Luft. Ein düsteres Gelb in der Höhe, wie wenn Rauch und Gold sich mischen.
Allmählig erglüht der Himmel, wie in verborgenem Feuer und der Nebel verwandelt die milchigen Töne in glänzendes Perlmutter. Doch aus unseren Augen entweicht nicht das schwarze Nachtbild. Da hüpft ein Funke, dort wieder einer. Nun erst sieht man, wie viel Finsternis die phantastische Nacht verschwendet. Ich zittere. Diese Funken haben Leben! Du lachst mich aus. „Sie thun nichts!“ sagst du, „sie thun nichts!“ Doch auch dir ist nicht geheuer. Dein Arm umkrampft mich. Uns schauert. Das macht unsere Zärtlichkeit so bebend und so gross. Die tollen gespenstischen Funken! Ist denn die ganze Gegend behext?
Wie ein Golfstrom fliesst unsere Liebe durch die kalte Welt.
Welch ein warmes Klima plötzlich! Wie im Süden. Heiss ists in der Winterkälte. Tropenluft im Norden.
Juliane Déry: Selige Liebe. Fischer Verlag, Berlin 1896, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Selige_Liebe_(D%C3%A9ry).djvu/005&oldid=- (Version vom 31.7.2018)