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Gefastet, gewacht, sich gesalbt und täglich das Seufzerlein der hl. Veronika hergesagt?

Nein, nein, – es muß gelingen, der Mensch ist auf Erden das Höchste und die Kraft der Hölle ihm untertan. –

Er ging wieder zum Fenster und wartete lange, bis die Hörner des Mondes, gelb und trüb, sich über die erstarrten Äste der Ulmen schoben.

Dann zündete er vor Aufregung zitternd seinen alten Leuchter an und holte allerhand seltsame Dinge aus Schrank und Truhe: Zauberkreise, grünes Wachs, einen Stock mit Krone, trockene Kräuter. Knüpfte alles in ein Bündel, stellte es sorgfältig auf den Tisch und begann, ein Gebet murmelnd, sich langsam auszuziehen, bis er ganz nackt war.

Der flackernde Leuchter warf hämische Reflexe auf den verfallenen Greisenkörper mit der welken, gelblichen Haut, die ölig glänzend sich über den spitzen Knieen, Lenden- und Schulterknochen spannte. Der kahle Schädel nickte über der eingesunkenen Brust, und sein kugelförmiger, grausiger Schatten fuhr an der kalkweisen Wand unschlüssig umher, als ob er etwas suchen wolle, in qualvoller Ungewißheit.

Fröstelnd ging der Alte zum Ofen, hob einen glasierten tönernen Topf herab und löste die raschelnde Hülle, die ihn verschloß; – eine fettige, übelriechende Masse war darin. Heute gerade vor einem Jahr hatte er sie zusammengeschmolzen: – Mandragorawurzel, Bilsenkraut, Wachs und Spermazeti und – und –, er schüttelte sich vor Ekel, – eine zu Brei verkochte Kinderleiche; – die Totenfrau hatte sie ihm verkauft.

Zögernd grub er seine Finger in das Fett, schmierte es sich auf den Leib, verrieb es in die Kniekehlen und Achselhöhlen, dann wischte er seine Hände auf der Brust ab und zog ein altes vergilbtes Hemd an: das „Erbhemd“,

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Gustav Meyrink: Orchideen. München o. J., Seite. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Orchideen_Meyrink.djvu/141&oldid=- (Version vom 31.7.2018)