Wir wohnten damals alle drüben in der Stadt; – wir nannten ihn Tonio, obwohl er eigentlich anders heißt.
Von der schönen Mercedes haben Sie wohl auch nie gehört? Eine Kreolin mit rotem Haar und so hellen, seltsamen Augen.
Wie sie in die Stadt kam, weiß ich nicht mehr, – jetzt ist sie seit langem verschollen. – –
Als Tonio und ich sie kennen lernten, – auf einem Feste des Orchideenclubs –, war sie die Geliebte eines jungen Russen.
Wir saßen in einer Veranda, und aus dem Saale wehten die fernen süßen Töne eines spanischen Liedes heraus zu uns. –
– – Girlanden tropischer Orchideen von unsagbarer Pracht hingen von der Decke herab: – Cattlëya aurea, die Kaiserin dieser Blumen, die niemals sterben, – Odontoglossen und Dendrobien auf morschen Holzstücken –, weiße leuchtende Loelien, wie Schmetterlinge des Paradieses. – Kascaden tiefblauer Lykasten, – und von dem Dickicht dieser wie im Tanze verschlungenen Blüten loderte ein betäubender Duft, der mich immer wieder durchströmt, wenn ich des Bildes jener Nacht gedenke, das scharf und deutlich wie in einem magischen Spiegel vor meiner Seele steht: Mercedes auf einer Bank aus Rindenholz, die Gestalt halb verdeckt hinter einem lebenden Vorhang violetter Vandeen. – Das schmale leidenschaftliche Gesicht ganz im Schatten.
Keiner von uns sprach ein Wort. –
Wie eine Vision aus tausend und einer Nacht –; mir fiel das Märchen ein von der Sultanin, die eine Eule war und bei Vollmond zum Friedhof schlich, um auf den Gräbern vom Fleische der Toten zu essen. Und Mercedes Augen ruhten – wie forschend auf mir.
Dumpfes Erinnern wachte in mir auf, als ob
Gustav Meyrink: Orchideen. München o. J., Seite. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Orchideen_Meyrink.djvu/081&oldid=- (Version vom 31.7.2018)