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Das Sanatorium, ein massiver Steinbau, bildete das Eck einer sauberen Straße, die das unbelebteste Stadtviertel schnitt.

Gegenüber zog sich das alte Palais der Gräfin Zahradka hin, dessen stets verhängte Fenster den krankhaft ruhigen Eindruck der leblosen Straße verstärkte.

Fast nie ging jemand durch dieselbe, denn der Eingang in das vielbesuchte Sanatorium lag auf der anderen Seite bei den Ziergärten, neben den beiden alten Kastanienbäumen.

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Martin Schleiden liebte die Einsamkeit, und der Garten mit seinen Teppichpflanzen, seinen Rollstühlen und launischen Kranken, mit dem langweiligen Springbrunnen und den dummen Glaskugeln war ihm verleidet.

Ihn zog die stille Straße an und das alte Palais mit den dunklen Gitterfenstern. Wie mochte es drinnen aussehen?

Alte verblichene Gobelins, verschossene Möbel, umwickelte Glaslüster. Eine Greisin mit buschigen, weißen Augenbrauen und herben, harten Zügen, die der Tod und das Leben vergessen hatte. –

Tag für Tag schritt der Mann das Palais entlang. –

In solchen öden Straßen muß man dicht an den Häusern gehen. –

Martin Schleiden hatte den ruhigen, eigentümlichen Schritt, den Menschen haben, die lange in den Tropen gelebt. Er störte den Eindruck der Straße nicht; sie paßten so zueinander, diese weltfremden Daseinsformen.

Drei heiße Tage waren gekommen, und jedesmal begegnete er auf seinem einsamen Weg einem Alten, der stets eine Gipsbüste trug.

Eine Gipsbüste mit einem Bürgergesicht, das sich niemand merken konnte. –

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Gustav Meyrink: Orchideen. München o. J., Seite. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Orchideen_Meyrink.djvu/057&oldid=- (Version vom 31.7.2018)